Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
gebannt auf das Gesicht der anderen starrte. Und nichts als Hass sah. Tödlichen Hass.
Unwillkürlich machte sie einen Schritt nach hinten, als Lady Sebrings Hand nach vorn schoss. In diesem Moment erkannte Lily ein kleines Messer, dessen Schneide in der Morgensonne blinkte. Ihr Verstand weigerte sich zu begreifen, was da gerade passierte, doch schon schnellte die Hand erneut vor.
Lily stolperte rückwärts, stieß gegen einen Tisch und riss schützend einen Arm nach oben, um das Messer abzuwehren. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, und sie merkte, dass sie zu spät reagiert hatte.
Kapitel 27
Regina war bekannt dafür, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen, doch als sie jetzt aus der Mietdroschke stieg, mit einem riesigen Paket unter dem Arm, fragte sie sich, ob es wirklich klug war, am helllichten Tag im Haus des Earl of Augustine vorzusprechen. Ihr Besuch dort würde bestimmt nicht unbemerkt bleiben, und am Ende tratschten alle darüber: die Nachbarn ebenso wie die Diener.
Wieso sollte mich das überhaupt stören?
Ja, warum? Zumal es überdies vielleicht genau das Richtige war, um endlich Ordnung in ihr Gefühlsleben zu bringen. Jedenfalls gab es kein Zurück mehr.
Der würdige Butler informierte sie sogleich, dass Mr. Bourne nicht im Haus sei, er jedoch gerne bereit sei, ihre Karte Lady Lillian zu überbringen. Im Moment sei Mylady mit einer Besucherin im Salon. Regina zögerte. So hatte sie nicht geplant, und für einen formellen Besuch war sie auch nicht gekleidet … Trotzdem entschied sie spontan, sich melden zu lassen, und folgte dem Butler.
Eigentlich war sie hergekommen, um in aller Ruhe mit James zu reden. Ihre Vorbehalte gegenüber einer Ehe wogen schwer. Sie musste ihre Unabhängigkeit aufgeben, und ihr Vermögen würde nach englischem Recht in das Eigentum ihres Mannes übergehen. Andererseits behauptete er, sie zu lieben, und sie glaubte ihm …
Ja, sie glaubte ihm wirklich. Was es zugleich schwieriger machte. Wäre es anders, ginge es bei der Entscheidung nur um ihre eigenen Gefühle.
»Verflucht kompliziert«, murmelte sie. Der Butler blickte höflich fragend auf und öffnete im selben Moment mit einer Verbeugung die Tür zum Salon.
Statt sie zu melden, schnappte der Mann überrascht nach Luft.
Der Anblick, der sich ihnen bot, war nicht unbedingt das, was man in der Stadtresidenz eines Earls erwartete. Zwei junge Frauen kämpften miteinander, wobei die eine eindeutig im Vorteil war, denn sie hatte die Gegnerin in die Enge getrieben, drückte sie auf einen kostbaren Tisch und bedrohte sie mit einem Messer.
Nach einem kurzen Blick auf den ältlichen und sichtlich überforderten Bediensteten legte Regina ihr Paket vorsichtig ab und griff beherzt in das Gerangel ein, wobei ihr ihre Größe zugutekam – sie war deutlich größer als Lily und Lady Sebring. Als sie energisch den Arm der Angreiferin packte, glitt dieser das Messer aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Laut auf den Teppich. Dann untersuchte sie sogleich den Tisch. »Das ist ein Queen-Anne-Stück und zweifellos ein kleines Vermögen wert. Wagt es ja nicht, diese Kostbarkeit durch Blut oder einen Kratzer mit diesem scheußlichen Messer zu entweihen. Und nun will ich wissen, wer von Euch beiden mir verraten kann, wann James zurückkommt?«
Ein gutes Bauchgefühl war immer schon seine Stärke gewesen. Als Damien aus der noch fahrenden Kutsche sprang, hallte das Knallen seiner Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster unnatürlich laut wider. Er hoffte inständig, diesmal mit seiner Vorahnung falschzuliegen.
Als er die Stufen hochstieg, fand er die Tür einen Spaltbreit offen. Er stieß sie ganz auf und sah sich einer Gruppe von Dienern gegenüber, die flüsternd in der Eingangshalle herumstanden.
»Wo ist Lady Lillian?«, rief er.
Einer der Lakaien, den er von einem früheren Besuch wiedererkannte, zeigte auf eine Tür. »Sie ist da drin, Mylord.«
Zu seiner Erleichterung bewahrheiteten sich seine schlimmsten Befürchtungen nicht. Die einzigen Anwesenden im Salon waren eine dunkelhaarige Lady von geradezu klassischer Schönheit, deren auffallend silbrige Augen ihn fragend anblickten, und seine zukünftige Frau, die an einem Tisch lehnte und auf den ersten Blick gänzlich unverletzt wirkte. Er wollte schon erleichtert aufatmen, als er einige Tropfen Blut auf ihrem Mieder und die Blässe ihres Gesichts bemerkte. Sein Herzschlag setzte aus.
»Lily?«
Sie drehte sich zu ihm um, flüsterte seinen Namen und stürzte auf ihn zu.
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