Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
dem Sofa, auf dem sie noch immer saß. Sie fragte sich, wie das Schicksal nur so gemein mit ihr umgehen konnte und sie erneut in eine verfängliche Situation brachte, anders als damals, aber möglicherweise ebenfalls gefährlich. Oder wie sollte man das nennen, wenn man sich plötzlich mit einem wildfremden Gentleman eingesperrt in einem Raum befand? Dabei hatte Lily sich ganz fest vorgenommen, allem aus dem Weg zu gehen, was sie kompromittieren könnte. Allem, was als unschicklich und unanständig galt.
Ein zweiter Skandal würde ihren Ruf endgültig ruinieren.
Sie schaute sich um. Fluchtmöglichkeiten gab es keine. Kein geöffnetes Fenster, kein Möbelstück, unter dem sie sich hätte verstecken können. Stattdessen bewegte der Mann sich gezielt in ihre Richtung, kam immer näher. Voller Panik hielt sie die Luft an.
Verdammt noch mal, würde ihr Bruder Jonathan jetzt vermutlich sagen. Mit Recht, denn die Sache entwickelte sich wirklich übel. Und das, obwohl sie sich nicht das Geringste vorzuwerfen hatte. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, dass sie genau das Gleiche suchte wie dieser Fremde zufällig auch: ein paar Minuten Ruhe und eine kleine Pause vom Ball. Es war ja schließlich nicht ihr Fehler, dass die hartnäckige Lady Piedmont ihm in unsittlicher Weise nachstellte.
Lily beschloss, dass es das Beste sei, sich einfach bemerkbar zu machen.
Ein zarter, flüchtiger Geruch nach Veilchen, den er beim Betreten der Bibliothek wahrgenommen hatte, hatte ihm bereits verraten, dass sich jemand im Raum befand. Der süße Duft war nur ganz schwach, längst nicht so aufdringlich wie das schwere Gardenienparfum von Lady Piedmont, doch er entging ihm nicht. Zumal in einer Umgebung, in der es ansonsten nach staubigen alten Büchern mit rissigen Ledereinbänden roch.
Außerdem war da das leise Rascheln von Seide gewesen. Von Röcken, deren Trägerin sich bewegte, und zwar irgendwo am anderen Ende des Raumes, wo er unter den hohen Fenstern die Umrisse einer kleinen Sitzgruppe erkannte. Er stellte sich vor, dass man am Tag, wenn man es sich dort mit einem Buch gemütlich machte, einen schönen Blick über den Garten haben musste.
Der Gedanke an die Fremde faszinierte ihn. Lord Damien Northfield lächelte, als er darüber nachdachte, was sie so alles mitbekommen hatte. Bestimmt war ihr das Ganze schrecklich peinlich, sodass sie sich davor fürchtete, entdeckt zu werden. Trotz der Musik, die vom Ballsaal herüberdrang, konnte er sie hastig und aufgeregt atmen hören. Andere hätten es vielleicht gar nicht registriert, doch er hatte während der Kriege gegen Napoleon der Krone in geheimer Mission gedient, und hinter den feindlichen Linien schärften sich die Sinne. Sonst überlebte man nicht lange.
Nur zu gern wüsste er, wie sie aussah. Und was sie in die Bibliothek getrieben hatte. Warum zog sie sich zurück und verkroch sich hier? Bald würde er es vielleicht erfahren, denn immer mehr näherte er sich nicht nur dem Tischchen mit der Karaffe, sondern auch dem Sofa, auf dem sich die Unbekannte versteckte.
Bei jedem Schritt schmerzte sein Bein, das er ein wenig nachzog. Die Wunde war zwar verheilt, aber die Ärzte hatten ihm ganz freimütig gesagt, dass es in seiner Beweglichkeit eingeschränkt bleibe und er nie mehr ganz normal gehen könne. Kurz gesagt, es war eine verfluchte Plage.
Jetzt war er bei der Sitzgruppe angelangt, sagte mit höflich-neutraler Stimme »Guten Abend«, als würden sie sich nicht unter so merkwürdigen Umständen begegnen.
Ein paar Minuten lang herrschte Stille, bis sie ein leises Klirren hörte, als er den Stöpsel von der Glaskaraffe hob und sich einen Brandy einschenkte.
»Ihr wusstet, dass ich hier bin?«, sagte sie erstaunt.
Ebenso wie ihr Geruch und ihre Bewegungen, die er aus dem Rascheln ihrer Röcke herauslas, gefiel ihm der Rhythmus und Klang ihrer Stimme, die voll, dunkel und warm und melodisch war. Und ihre direkte Art. Obwohl es ihn reizte, sich umzudrehen und sie näher in Augenschein zu nehmen, verzichtete er zunächst darauf und trank erst einmal einen Schluck aus dem Glas. Französischer Brandy vom Feinsten, wie er zu seiner Freude feststellte, sehr weich im Geschmack. »Ja, ich wusste es.«
Sie setzte sich auf – auch das hörte er bloß. »Warum habt Ihr denn nichts gesagt?«
»Und warum habt Ihr geschwiegen?« Damien ließ die Flüssigkeit im Glas kreisen, ehe er einen zweiten Schluck nahm und sich langsam umdrehte.
Sein erster Eindruck war, dass seine kleine
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