Eine skandaloese Liebesfalle
Holbrook wohl kaum Grund hatte, anderen Männern zum Wechsel in den Ehestand zu gratulieren, da die verstorbene Lady Holbrook erwiesenermaßen einmal mit einem Messer auf ihn losgegangen war. „Danke, Sir.“
„Was ist geschehen?“
Vere zündete sich eine Zigarette an, nahm einen Zug und zuckte die Achseln.
„Nicht unbedingt der stolzeste Augenblick in einer sonst makellosen Karriere, was?“, stellte Holbrook beiläufig fest.
Vere schnippte die Asche von seiner Zigarette, obwohl sich bislang kaum welche entwickelt hatte.
Holbrook spielte mit den Perlenfransen des Schonbezugs. „Und dann auch noch die Nichte des Verdächtigen!“
„Meine Anziehungskraft kennt keine Grenzen.“ Vere leerte sein Glas. Genug geplaudert. „Es gab eine Verwandte, bei der Douglas eine Weile wohnte, als er in London war, nicht wahr?“
„Sicher. Mrs John Watts. London Street, Jabob’s Island.“ Holbrook besaß ein unfehlbares Gedächtnis. „Aber sie ist schon lange tot.“
„Danke.“ Vere stand auf. „Ich finde selbst zur Tür.“ „Sind Sie sicher? An Ihrem Hochzeitstag?“
Was sonst sollte er schon an diesem Tag tun? Herumhuren und ein Gelage feiern? Sich restlos betrinken? Eine Opiumsucht entwickeln?
„Aber natürlich“, antwortete er leise. „Wie sollte ich diesen Tag besser genießen und all das, was danach kommt?“
„Ich kann es immer noch nicht glauben - Penny heiratet“, bemerkte Angelica Carlisle, verwitwete Canaletto, Freddies älteste und beste Freundin, lachend.
Sie und Freddie tranken Kaffee - ihre neueste vom Kontinent stammende Angewohnheit - in dem Empfangssalon ihres Stadthauses, das früher ihrer Mutter gehört hatte.
Freddie hatte hier viele Tee- und Dinnergesellschaften besucht, die meisten Bücher im Studierzimmer gelesen, und sonntags war er regelmäßig in diesem Haus zu Gast gewesen, jenem Tag in der Woche, der strikt der Familie und den engsten Freunden Vorbehalten war. Angelica hatte ihm bereits erklärt, welche Änderungen sie an der Einrichtung vorzunehmen plante. Aber sie war noch dabei, sich einzuleben - sie war erst seit einem Monat wieder zurück in England. Das Haus war unverändert. Und die Vertrautheit der Umgebung - gemütlich verblasste Tapeten in Rosa und Altweiß, liebevoll aufgehobene Aquarelle von längst verstorbenen und unverheirateten Tanten, Erinnerungsteller vom Silberjubiläum Ihrer Königlichen Hoheit vor fünfunddreißig Jahren - betonte die Veränderungen an ihr selbst nur umso stärker.
Er hatte sie immer für attraktiv gehalten, mit einer gesunden Ausstrahlung und ausdrucksstarken Zügen, insgesamt mehr apart als unbedingt hübsch. Aber während der kurzen Jahre ihrer Ehe und der folgenden Witwenschaft hatte sie eine gewisse verführerische Art hinzugewonnen. Ihre Augen waren nicht mehr so klar, nicht mehr so ehrlich-aufgeweckt, wie er sich von früher erinnerte, sondern strahlten etwas Geheimnisvolles aus. Ihr Lächeln, gewöhnlich nur ein leises Anheben ihrer Mundwinkel, verströmte jetzt eine große Sinnlichkeit, wobei sie sich vollkommen züchtig benahm. Es war, als ob sie hinter der Fassade von Sittlichkeit und Anstand insgeheim sehr unartige Gedanken hegte.
Und zu seiner Bestürzung begann er zum ersten Mal in seinem Leben in ihr jemanden zu sehen, für den er Verlangen verspürte. Angelica, die immer so etwas wie eine Schwester für ihn gewesen war, eine lästige und erbarmungslose kleine Schwester, die ihm in ihrer schonungslosen Offenheit mitgeteilt hatte, dass sein Schneider blind und unfähig sie, dass er sich seine Zähne mindestens drei Minuten länger putzen müsse und dass, wenn er mehr als zwei Tropfen Champagner getrunken habe, es ihm nicht länger gestattet sei, Walzer zu tanzen - zum Schutz der anderen.
Sie trank einen Schluck Kaffee, lachte wieder leise und schüttelte den Kopf. Eine Strähne ihres Haares, das kunstvoll locker frisiert war, streifte ihr Kinn, verlieh der Eckigkeit ihrer Züge eine neue Weichheit. Als wüsste sie um den Bann, in dem die Locke ihn hielt, zog sie sie zwischen zwei Fingern glatt, dann ließ sie sie los.
Irgendwie gelang es ihr, selbst in diese winzige Bewegung die ganze Kraft ihrer neu entwickelten Macht zu legen - gemeint war damit Evas Verführungskunst.
Ihm wurde klar, dass er ihr noch nicht geantwortet hatte, und so beeilte er sich zu sagen: „Penny ist neunundzwanzig. Irgendwann wird er heiraten müssen.“
„Das stimmt natürlich, aber was mich so verwundert, ja erschreckt, ist der Skandal.
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