Eine skandalöse Versuchung
Schwester keinen einzigen ihrer bissigen Kommentare, die sie gnädigerweise in einem gedämpften sotto voce zum Besten gab.
Leonora ließ sich Mildred gegenüber in den Sessel sinken; sie war unentschlossen. Mit Mildred ins Theater zu gehen, bedeutete in der Regel, mindestens zwei Gentlemen vorgestellt zu werden, die als potenzielle Heiratskandidaten infrage kamen. Andererseits bedeutete es natürlich auch, sich eine Aufführung ansehen zu dürfen, während derer niemand zu reden wagte. Sie würde Gelegenheit haben, sich ganz und gar in der Vorführung zu verlieren. Und mit etwas Glück würde sie sogar ein wenig von Trentham und dessen Vorführung abgelenkt werden.
Und zudem konnte man sich eine Gelegenheit, den unvergleichlichen Edmund Kean auf der Bühne zu sehen, nicht einfach so entgehen lassen.
»Einverstanden.« Ihr Blick kehrte rechtzeitig zu Mildred zurück, um den Triumph in ihren Augen aufleuchten zu sehen. Sie kniff skeptisch die Augen zusammen. »Aber ich werde mich während der Pause gewiss nicht wie eine Zuchtstute vorführen lassen.«
Mildred tat ihren kleinlichen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Du kannst meinetwegen während der Pause sitzen bleiben, wenn du darauf bestehst. Aber zieh dein nachtblaues Seidenkleid an, ja? Ich weiß, du machst dir nicht viel aus deinem Äußeren, also tue es einfach mir zuliebe.«
Mildreds flehentlichem Blick konnte sie sich einfach nicht widersetzen; sie spürte, wie ihre Lippen zuckten. »Da du es bist, die mir diese überaus begehrte Gelegenheit verschafft, kann ich dir diesen Wunsch wohl kaum abschlagen.« Das dunkelblaue Kleid war eines ihrer liebsten, insofern kostete sie dieses kleine Zugeständnis nichts. »Aber ich warne dich, ich werde nicht zulassen, dass mir irgend so ein Bond-Street-Beau während der Vorstellung süße Nichtigkeiten ins Ohr flüstert.«
Mildred seufzte. Sie stand kopfschüttelnd auf. »Als wir junge Mädchen waren, war es der Höhepunkt jedes Abends, wenn ein begehrter Gentleman uns süße Worte zuflüsterte.« Sie warf Leonora einen flüchtigen Blick zu. »Lady Henry erwartet mich, und im Anschluss Mrs Arbuthnot, ich muss daher los. Ich werde dich gegen acht Uhr mit der Kutsche abholen.«
Leonora nickte zustimmend und begleitete ihre Tante zur Tür.
Nachdenklicher als zuvor kehrte sie in den Salon zurück. Vielleicht war es ganz klug, sich, zumindest bis Saisonbeginn, öfters in gesellschaftlichen Kreisen zu bewegen.
Möglicherweise lenkte sie dies ein wenig von den lästigen Nachwirkungen ihrer Verführung ab.
Möglicherweise half es ihr sogar, den Schock zu verwinden, den Trentham ihr mit seinem Heiratsangebot versetzt hatte. Und den noch viel größeren Schock, dass er der festen Ansicht war, sie müsse darauf eingehen.
Sie konnte seine Beweggründe zwar nicht nachvollziehen, doch er wirkte absolut entschlossen. Ein paar Wochen in Gesellschaft anderer Männer würden ihr zweifellos in Erinnerung rufen, warum sie niemals hatte heiraten wollen.
Sie hegte nicht den leisesten Verdacht. Erst als die Kutsche am Theater vorfuhr und ein geschniegelter Diener den Wagenschlag öffnete, beschlich sie das leise Gefühl einer Vorahnung.
Doch da war es bereits zu spät.
Trentham trat in ihr Sichtfeld und streckte seine Hand aus, um ihr aus der Kutsche zu helfen.
Sie starrte ihn mit offenem Mund an.
Mildred stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Seite; sie erschrak und warf ihrer Tante einen vernichtenden Blick zu, ehe sie voller Herablassung ihre Finger in Trenthams Hand legte.
Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Hinter ihnen warteten bereits mehrere Kutschen; es war wenig ratsam, auf der Eingangstreppe des Theaters, in welchem das Stück aufgeführt wurde, über das
zurzeit ganz London sprach, eine Szene zu machen und dem Gentleman vor ihr zu sagen, was sie von seinen Machenschaften hielt. Und nebenbei ihrer Tante mitzuteilen, dass sie es diesmal eindeutig zu weit getrieben hatte.
Sie hüllte sich stattdessen in hochmütiges Schweigen und ließ zu, dass er ihr aus der Kutsche half, nur um sich sogleich abzuwenden. Mit eisigem Desinteresse betrachtete sie die Menschenmassen, die sich langsam die Treppen hinauf und durch die offenen Türen drängten, während Trentham ihre beiden Tanten begrüßte und ihnen ebenfalls aus der Kutsche half.
Mildred, die in ihren bevorzugten Farben Schwarz und Weiß blendend aussah, hakte sich bei Gertie ein und schob sich entschlossen die Stufen hinauf.
Ruhig wandte sich Trentham wieder ihr
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