Eine Socke voller Liebe
größer
und die Fuß- und Radwege füllten sich mit Menschen, die zu ihrer Arbeitsstelle,
zur Universität oder Schule eilten.
Sie waren froh, als sie das hektische Treiben hinter sich
lassen konnten, und der gelbe Pfeil sie auf einem ebenen Schotterweg
weiterführte.
„Was hat denn Michael gestern Abend noch so erzählt?“, konnte
Sabine ihre Neugierde nicht verkneifen. „Ihr beide habt euch so angeregt
unterhalten, dass ich ganz neugierig bin.“
„Och, eigentlich nichts Besonderes. Wir haben uns zuerst eine
ganze Zeitlang über Musik unterhalten. Er spielt Klavier und Orgel und vertritt
manchmal den Organisten in seiner Kirchengemeinde. Sebastian und er sind auch
schon seit vielen Jahren miteinander befreundet. Sie sind übrigens beide
siebenundvierzig. Zwei Jahre jünger als wir.“
„Aha. Und sonst? Ist er verheiratet?“
„Keine Ahnung, aber ich glaube schon. Wieso fragst du?“
„Ach, nur so.“
„Nachdem ich von Magdalena erzählt hatte, hat er von seinem
kleinen Sohn gesprochen. Aber irgendetwas ist mit dem Kind scheinbar nicht in
Ordnung. Er hat gesagt, das wäre eine sehr traurige Geschichte mit seinem
Jungen. Weiter kam er nicht mehr. Dann mussten wir uns leider ganz schnell
verabschieden.“
„Hm, schade“, bedauerte Sabine. Dann überlegte sie einen
Moment und sagte: „Ich finde, er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit Benjamin. Du
solltest auf dich aufpassen.“
„Was soll das denn jetzt heißen?“, entgegnete Andrea gereizt.
Sie war offensichtlich sauer über diesen Vergleich.
„Ich mein ja nur so vom Typ her. Groß, blond, blaue Augen.“
„Da sehe ich aber nicht viel Ähnlichkeit. Michael hat dunkelblonde,
leicht gewellte Haare, ein viel markanteres Gesicht und einen Dreitagebart.“
„Und ist sympathischer. Nur schade, dass die gut aussehenden
Männer entweder verheiratet oder Arschlöcher sind.“
„Jetzt reicht es aber! Lass uns lieber da vorne in der Kirche
eine kleine Verschnaufpause machen, bevor wir auf den Alto steigen müssen.“
Sie stiegen die kleine Anhöhe hinauf, von der die Kirche über
den Ort ragte. Die Tür war verschlossen. Aber es gab eine kleine Bank im
Schatten, die zum Rasten einlud.
Jetzt war es Andrea, die das Thema wieder aufnahm. „Mir ist
aufgefallen, dass Michael manchmal total abwesend mit seinen Gedanken ist. Hast
du das auch schon mal bemerkt?“ fragte sie. „Jetzt, wo du das sagst… Ich habe
ihn mal etwas gefragt, das war am ersten Abend in Roncesvalles. Da hatte er
auch Löcher in die Luft gestarrt und ist zusammen gezuckt, als ich ihn
angesprochen habe.“
„Komisch. Gestern Abend gab es eine ähnliche Situation. Ich
habe ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei. Aber er hat es gar nicht zur Kenntnis
genommen. Irgendetwas scheint ihn sehr zu beschäftigen. Vielleicht hängt das ja
mit seinem Sohn zusammen. Auf jeden Fall ist er selbst auch längere Zeit krank
gewesen. Das hat er in einem Nebensatz erwähnt. Ich habe ihn aber nicht weiter
danach gefragt.“
„Na ja, dann will er wohl auch nicht darüber sprechen.“
Es war schon wieder recht warm geworden, als sie in der Ferne
den großen Windpark auf dem Bergrücken des Perdon erblickten. Seit den Pyrenäen
war der Aufstieg zum Alto de Perdon der erste größere Anstieg.
Der Schotterweg wurde sehr schmal, und es gab keinen
Schatten. Rechts und links wuchsen nur niedrige Sträucher, die die Felder
abgrenzten. Der Rucksack drückte auf die Schultern.
Aber der Aufstieg hatte sich gelohnt. Oben angekommen, bot
sich den Pilgern eine wunderschöne Aussicht über Pamplona bis zu den Pyrenäen.
Im Süden blickten sie über eine idyllische Hügellandschaft. Rundum war der
Blick frei in eine herrliche Gegend.
Ab hier war die Landschaft Navarras von Weinanbau und
Landwirtschaft geprägt. Es wehte ein leichter Wind, der die Hitze einigermaßen
erträglich machte.
Die Freundinnen stellten sich vor das große Pilgerdenkmal und
baten einen der vielen Wanderer, sie zu fotografieren. Als sie sich gerade
lachend an eine der rostigen Pilgerfiguren klammerten, gesellte sich ein
weiterer Fotograf dazu und machte mehrere Fotos von ihnen.
Mit einem freudigen „Hallo“ erkannten und begrüßten Sabine
und Andrea den Fotografen. Es war Sebastian. Er war mit Hubert allein hier
oben. Michael war bereits vorgegangen. Er wollte ein Stück allein laufen und in
der nächsten Bar, die sich am Weg bot, auf die Freunde warten.
Gemeinsam machten sich die vier an den beschwerlichen
Abstieg, der sehr steil
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