Eine Socke voller Liebe
bin dankbar, hier zu sein,
und ich bitte die Gottesmutter für uns alle um einen guten Weg und darum, dass
wir finden, was wir suchen.“
Wie selbstverständlich und ohne ihr Zutun waren die Worte aus
ihrem Mund geflossen. Langsam setzte sie sich wieder hin, um gemeinsam mit den
anderen das Ave Maria zu beten.
Es war dunkler geworden in der kleinen Kirche.
Langsam, so wie sie ihn betreten hatten, verließen sie den
geheimnisvollen Raum.
Vor der Tür fragte Veronique, ob jemand barfuß auf den
kugeligen Kieselsteinen um die Kirche laufen möchte. Einmal vorwärts und einmal
rückwärts, so verlange es der Brauch, mit dem besondere Kraft und Energie
aufgenommen werden könne. „Ich selbst vertrage das aber nicht. Ich bekomme
Herzbeschwerden davon“, sagte sie.
Niemand von ihnen hatte das Bedürfnis, diese Kraftfelder
auszuprobieren, denn in der Kirche hatten sie alle reichlich Energie getankt.
Sabine hatte den Eindruck, dass nicht nur sie selbst, sondern
auch die anderen von dem Erlebten ein wenig benommen und sehr beeindruckt
waren, denn es redete niemand ein Wort, als sie gemeinsam ins Haus zurück
gingen, um die Küchenarbeit zu erledigen.
Später setzten sie sich auf die beiden Bänke vor dem Haus und
tranken das Bier, das Veronique ihnen als Schlaftrunk servierte.
Es war ein Sommerabend wie im Bilderbuch. Der Mond schien
hell, und der Himmel war mit tausenden Sternen übersät. Einige lösten sich und
fielen als Sternschnuppen hinab. Gebannt blickten die Menschen hoch zu dem
Naturschauspiel und jeder von ihnen schickte seine Sehnsüchte und Wünsche ins
Universum.
Niemand sprach ein Wort. Nur das Zirpen der Zikaden war zu
hören.
Nach einer Weile hakte Vera ihren Mann unter und flüsterte:
„So friedlich stelle ich mir das Paradies vor.“
„Um dorthin zu kommen, müssen wir erst einmal unser Leben
leben“, antwortete Klaus leise.
„Tja, aber das Alltagsleben ist nun einmal nicht so
unproblematisch wie das Pilgerleben hier auf dem Camino, und deshalb sind ja
wohl die meisten von uns hier unterwegs“, seufzte Vera, und zog ihren Arm
zurück.
„Da hast du Recht“, pflichtete Klaus ihr nachdenklich bei und
schaute in die Runde, „irgendwie ist wohl jeder von uns auf der Suche nach
etwas, das seinen Anstrengungen im stressigen Alltag einen Sinn gibt.“
„Ja, die Frage nach dem ‚Warum‘ kann uns wohl niemand
beantworten“, brummelte Sabine vor sich hin.
Klaus lächelte sie an und wand sich dann wieder seiner Frau
zu: „Immerhin haben wir die Fähigkeit zu lieben, und das bestärkt mich in
meinem Glauben an einen guten Gott, der unsere Geschicke lenkt.“
Verwundert fragte Sabine: „Glaubst du, er hätte unser Leben
vorbestimmt?“
„Nein, das glaube ich nicht, denn wir Menschen haben einen
freien Willen, mit dem wir Entscheidungen treffen können. Inwieweit diese aber
wirklich frei ist, vermag ich nicht zu sagen.“
„Es ist schwer vorstellbar, dass es einen guten Gott gibt,
der all das Schreckliche geplant hat, das in der Welt passiert“, entrüstete
sich Sabine.
„Ach, weißt du, wir sind hier nicht im Paradies, und das
Unglück bereiten die Menschen sich selbst. Die Religionen haben immer versucht,
ihren Gläubigen Orientierungshilfen und Erklärungen für das Unerklärliche in
der Welt zu geben. Für das Schöne genauso wie für das Schreckliche. Sie stärken
die Menschen in ihrem Glauben an einen guten Gott und helfen ihnen in ihrem
Kampf gegen das Böse.“
„Da bin ich aber ganz anderer Meinung!“ Sabine sah ihr
Gegenüber ein wenig herausfordernd an. „Ich finde, gerade die christlichen
Kirchen hinken sehr unserer heutigen Zeit hinterher. Darum distanzieren sich
doch so viele, vor allem junge Menschen von der Religion! Sie fühlen sich
unverstanden, denn die Kirchen haben es versäumt, mit den Wissenschaften zu
wachsen und sich zu verändern. Die Menschen wollen dort abgeholt werden, wo sie
heute stehen und nicht dort, wo sie vor einigen hundert Jahren gestanden haben.
Die modernen Technologien verdrängen die Religionen. Die heutigen Menschen
wollen ihr Leben selbst planen und gestalten.“
„Die Natur lässt sich aber nicht planen“, sagte Klaus, „und
auch ein Menschenleben ist abhängig von dem, was ohne sein Zutun passiert. Es
gibt zwischen Himmel und Erde so viele Dinge, die wir mit unserem beschränkten
Sehvermögen gar nicht begreifen und überschauen können. Jeder von uns ist wie
eine kleine Ameise in einem großen, vermeintlichen Chaos, das er
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