Eine Socke voller Liebe
gelaufenen Füße im kalten Nass.
Ein Pilger mit einem riesigen Cowboyhut winkte ihnen von der
Brücke aus zu und fotografierte sie.
Immer mehr Pilger liefen in die Stadt hinein.
„Ich glaube, wir sollten uns auch mal auf Herbergssuche
machen“, meinte Sabine mit bedenklich hochgezogener Stirn, als eine größere
Gruppe die Brücke passierte.
„So eine Hektik gefällt mir aber gar nicht“, maulte Andrea
ein wenig, als sie sich die Strümpfe und Schuhe wieder anzog.
Vor zwei privaten Herbergen stand bereits ein großes Schild:
„Completo!“
„Och nee!! Hoffentlich finden wir hier noch ein Quartier. Ich
will heute nicht mehr weiter laufen“, stöhnte jetzt Sabine.
Einige hundert Meter weiter fanden sie, was sie suchten: In
einem alten Schulgebäude, das die Gemeinde während der Ferien als Schlafstätte
für Pilger zur Verfügung stellte, waren noch Betten frei.
Am Hoftor klebten Informationszettel. „Schwimmbad in
fünfhundert Meter Entfernung“, las Sabine und wandte sich gleich Andrea zu:
„Was hältst du davon?“
„Sehr viel.“
Das Freibad war fast leer. Nur eine junge Familie plantschte
mit ihren kleinen Kindern im Babybecken.
Die Freundinnen liefen barfuß über das feuchte Gras zum
Schwimmbecken. Sie ließen sich in das angenehm temperierte Wasser gleiten und
genossen es, die strapazierten Gelenke im Wasser zu strecken. Als sie später in
einem bequemen Liegestuhl lagen, um sich von der warmen Sonne trocknen zu
lassen, entfuhr es Andrea mit einem lauten Seufzer: „Das Leben kann sooo schön
sein!“
Dem hatte auch Sabine nichts entgegenzusetzen.
Als sie nach einem guten Pilgermenü am Abend in die Herberge
zurückkamen, lag der „dicke Schnarcher“ von gestern im unteren Teil von Andreas
Etagenbett. Ringsum hatte er mehrere prall gefüllte Taschen und Tüten
aufgebaut. Ein großer Rucksack und ein roter Seesack lehnten am Pfosten.
„Das ist ja wahnsinnig“, murmelte Andrea, während sie die
Utensilien kopfschüttelnd betrachtete und überlegte, von welcher Seite aus sie
am besten in ihr Bett hinaufsteigen könnte.
Der Dicke drehte sich um. Erstaunt blickte er sie an und
murmelte müde ein zerknirschtes „Hallo.“
„Hallo“, grüßte Andrea, „ist das alles dein Gepäck?“
„O yes, yes, alles mein.“
„Willst du damit etwa bis Santiago laufen?“, fragte sie
verwundert und neugierig zugleich.
„Ja, ja. Ich habe schwer zu tragen. Ich weiß.“ Er richtete
sich langsam auf. „Aber ich habe viel Zeit. Ich fahre mit die Bus, wenn es
nicht mehr geht. Was soll ich machen. Ich brauche alles“, sagte er langsam und
mit einem für Andrea undefinierbaren Akzent.
„Okay. Dann schlaf mal gut“, grinste sie amüsiert und
kletterte hinauf in ihr Bett.
„Irgendwie wirkt er hilflos“, flüsterte sie ihrer Freundin
zu.
„Schade. Aber mit so viel Gepäck wird er es schwer haben, an
sein Ziel zu kommen“, erwiderte Sabine schläfrig.
06.
Pilgergesichter
„So, da sind wir wieder auf dem Camino“, verkündete Andrea
unternehmungslustig, als sie an einem gelben Pfeil vorbeilief, „und heute waren
wir nicht die Letzten, die aufgebrochen sind!“
„Bei der Geräuschkulisse konnte man ja auch wirklich nicht
länger schlafen“, erwiderte Sabine, „die Schnarcher haben uns ja regelrecht zur
Bettflucht getrieben. Aber nach dem guten Kaffee bin ich jetzt nicht mehr
müde.“
„Und das herrliche Frühstücksbuffet in dem Hotel war eine
wirklich gute Empfehlung. Das hält jetzt erst mal eine Weile vor, hoffe ich.“
Die Luft war noch angenehm kühl und die Freundinnen wanderten
beschwingt durch die waldreiche Hügellandschaft.
Gegen Mittag war es allerdings vorbei mit der angenehmen
Morgenfrische, und die Temperatur stieg von Minute zu Minute.
Da kam ihnen der kleine Bachlauf gerade recht. Sie machten
Pause unter einer Brücke und kühlten die Füße im kalten Wasser. Wieder wurden
sie von anderen Peregrinos fotografiert, die ihnen freundlich ein „buen Camino“
zuriefen.
„Wir sind scheinbar sehr fotogen, wenn wir unsere Füße
baden“, meinte Andrea, „mich wundert nur, dass die alle lieber weiter gehen,
als sich hier abzukühlen.“
„Freu dich drüber. Stelle dir vor, die kämen alle hier
herunter. Dann wär’s mit unserer Ruhe aber schnell vorbei.“
Als sie nach einer Weile wieder unter der schattigen Brücke
hervorkamen, strahlte die Augustsonne heiß vom wolkenlosen, blauen Himmel. Zu
allem Übel führte der Camino jetzt über Betonwege und
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