Eine Socke voller Liebe
nicht
übersehen kann. Und doch findet dieses kleine Tier seinen Weg durch das
Labyrinth und erfüllt seine Aufgaben in der Gemeinschaft des ganzen
Ameisenvolkes. Und nur weil jedes Tier seinen Platz ausfüllt, funktioniert das
ganze Durcheinander.“
„Meinst du, dass wir der Welt einfach ihren Lauf lassen
müssen?“
„Ja! Wir können nur unseren winzigen, kleinen Platz ausfüllen
im Vertrauen darauf, dass für Gott unser vermeintliches Chaos gar kein Chaos
ist, weil er es überschaut und lenkt.“
„Aber wir können doch nicht blind und tatenlos alles
hinnehmen!“
„Nein, das sollen wir ja auch nicht. Wir müssen versuchen, im
Gleichgewicht zu bleiben, in unserer Mitte, bei uns, in unserem Herzen, bei
Gott. Wir müssen ihn suchen. In uns. Denn wir sind seine Kinder, wir sind ein
Teil der Evolution, und er ist in jedem von uns. Wir müssen in uns
hineinhorchen, damit wir unseren Weg zu uns selbst und damit zu Gott finden.“
„Ich glaube, viele Menschen haben verlernt, auf ihre innere
Stimme zu hören. Sie horchen mehr auf das, was ihnen durch die Presse, die
Politiker und die Werbung suggeriert wird.“
„Da hast du Recht. Aber ich weiß auch, dass viele Menschen
von Grund auf skeptisch und wissbegierig sind. Sie wollen die Dinge um sich
herum verstehen und beherrschen können. Und, schaut euch hier auf dem Camino
um: Auch die junge Generation glaubt nicht alles, was die modernen Medien
ausspucken. Jeder Mensch, ob jung oder alt, sucht auf seine ihm eigene Art und
Weise nach dem Woher und Wohin, dem Warum und Wofür. Und diese Sinnsuche
scheint mir auch der Grund dafür zu sein, dass der Jakobsweg in den letzten
Jahren immer mehr Anhänger bekommen hat.“
Klaus hielt inne und blickte zu seiner Frau. Vera war
aufgestanden.
„Ich bin müde und möchte nach oben gehen“, sagte sie, „ich
wünsche euch allen eine gute Nacht.“
„Dann komme ich mit.“ Klaus erhob sich ebenfalls.
„Tut mir leid“, beugte er sich zu Sabine und faltete die
Hände vor der Brust: „In namas Dei!“
„Was heißt das?“, fragte Sabine erstaunt.
„Das ist ein Gruß aus dem Yoga und heißt: Ich grüß den Gott
in Dir.“
08.
Festtage
Die Türen der ehemaligen Templerkirche in Puenta la Reina
waren geöffnet. Sabine hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass Andrea an jede
Kirchentür fasste. Allerdings waren viele verschlossen.
Ihre Augen mussten sich erst an den dunklen Innenraum dieser
alten Kirche gewöhnen, aber außer den wunderbaren Intarsien auf dem dunklen
Holzfußboden fand sie hier nichts Bemerkenswertes.
„Alles ist hier so düster und das Kreuz ist gruselig“, sagte
sie zu Andrea, „ich gehe lieber wieder raus in die Sonne.“
Dabei hielt sich die Sonne heute Morgen ziemlich bedeckt,
aber das war gut so; denn dadurch hatten ihnen die leicht hügeligen Feldwege
bisher noch nicht viel abverlangt.
Sabine sah sich um. Plakate an Hauswänden und Laternenpfählen
wiesen auf ein bevorstehendes Fest hin, bei dem Stiere durch die Straßen der
Stadt getrieben wurden. Einige der alten Gassen waren bereits mit rotweißen
Bändern abgesperrt. Aus der Ferne drang lautes Rufen und Klatschen zu ihr.
Andrea gesellte sich wieder zu ihr und gemeinsam kamen sie an
einen Platz, der von vielen Menschen umstellt war. Die Menge spornte Kinder an,
die offensichtlich einen Stierkampf nachspielten. Die weißen, mit roten
Bordüren verzierten Kleider der Mädchen und die ebenso schmucken Anzüge der
Jungen waren ein hübscher Hingucker. Man spürte die Begeisterung, mit der die
Zehnjährigen bei der Sache waren.
Die Jungen hüpften auf hölzernen Steckenpferden, deren
schwarze Stierköpfe gefährlich drein blickten. Mehrere Mädchen schwenkten rote
Tücher vor ihnen hin und her. Es war ein Gewusel und Durcheinander, das keine
Spielregeln erkennen ließ, jedenfalls nicht für die beiden Freundinnen.
„Ich sehe nur, dass alle einen Mordsspaß bei der Sache
haben“, stellte Andrea fest.
„Ja, in Mainz würden wir jetzt ‚Helau‘ rufen“, lachte Sabine.
Nach einer Weile des Zuschauens liefen die Freundinnen weiter
auf ihrem Weg.
Kurz nach dem Überqueren der berühmten Brücke, die der Stadt
ihren Namen gegeben hat, ging es beständig bergauf.
Als sie sich in einem mittelalterlich anmutenden Dorf im
Schatten eines Baumes zum Picknick niederließen, waren sie drei Stunden
gelaufen. Inzwischen hatte auch die Sonne die Wolkendecke wieder erfolgreich
verdrängt.
Sabine breitete eine weiße Serviette auf der Bank
Weitere Kostenlose Bücher