Eine Socke voller Liebe
Wer noch?“
„Eine gute Idee“, fand Corinna.
„Dann setzt ihr euch schon mal in das Eiscafe, ich komme
nach“, sagte Andrea, „ich habe auf dem Weg hierher ein Musikgeschäft gesehen.
Ich würde mich dort gerne einmal umsehen, um festzustellen, welches
Notenrepertoire sie führen. Vielleicht finde ich ja eine besondere Rarität, die
es in Deutschland nicht gibt.“
Sabine kam dieser Wunsch von Andrea gerade recht.
Inzwischen lugte die Sonne immer öfter zwischen den Wolken
hervor. Sabine und Corinna entschieden sich deshalb, draußen zu sitzen und
wählten einen geschützten Platz an der Hauswand. Von hier aus hatten sie einen
freien Blick über den Domplatz und konnten die vielen Menschen beobachten, die
sich dort aufhielten oder vorbei liefen.
Jede von ihnen bestellte sich einen großen Früchtebecher mit
Sahne. Nachdem sie genießerisch ein Stück Pfirsich mit Eis probiert hatte, sah
Sabine Corinna an und sagte: „Weißt du, dass mir unser Gespräch vor ein paar
Tagen sehr gut getan hat?“
„Nein, aber ich kann es mir denken. Es tut einfach gut, wenn
man mit jemandem reden kann, der weiß, wovon man spricht. Das geht mir auch
so.“
„Außerdem sehe ich viele Dinge inzwischen aus einer anderen
Perspektive. Die Entfernung zu Markus wirkt beruhigend auf mich. Ich habe mich
ein Stück weit von der Verantwortung frei gemacht. Ich habe mich von ihm und
von mir selbst in meiner Rolle als Co-Abhängige distanziert und mit diesem
Abstand kann ich jetzt entspannt über viele Dinge reden, ohne gleich in Tränen
auszubrechen.“ Sie machte eine kurze Pause, um eine dicke Himbeere mit Sahne zu
essen und fuhr fort: „Wenn ich daran denke, was für blöde Sachen Markus
manchmal im betrunkenen Zustand gemacht hat, kann ich sogar darüber lachen.“
Sie grinste amüsiert. „Du musst dir das einmal vorstellen: Er ist mit dem Zug
nach Oppenheim gefahren und an den Rhein gelaufen. Wahrscheinlich hat er sich
auf dem Weg dorthin eine Flasche Schnaps gekauft. Im Strandbad hat er eine
Familie aus unserer Nachbarschaft getroffen. Irgendwann war Markus betrunken
und wollte mit den Kindern spielen. Immer wieder soll er versucht haben, den
hellen, feinen Sand zu Schneebällen zu formen, um mit den Kindern eine
Schneeballschlacht zu machen.“ Sabine schüttelte lachend den Kopf. „Er hat wohl
die ganze Familie und auch andere Badegäste mit Sand beworfen. Stell dir das
mal vor. Unglaublich, oder? Die Nachbarn haben ihn trotzdem noch mit nach Hause
genommen, aber das war’s dann auch.“
„Wie peinlich! Ja, ich kann mir vorstellen, dass du dich
unglaublich geschämt hast vor euren Bekannten.“
„Das habe ich. Diese Familie hat sich nach diesem
Zwischenfall auch von uns fern gehalten. Sie wollten nichts mehr mit uns zu tun
haben.“ Sabine rührte nachdenklich ein paar Früchte unter das Eis, bevor sie
fortfuhr: „All diese Peinlichkeiten vor Freunden, Kollegen und Nachbarn führten
immer mehr dazu, dass auch ich mich mehr und mehr zurückgezogen habe.
Irgendwann kann man sie nicht mehr sehen, die mitleidigen Blicke der anderen.“
„Ich kenne ähnliche Begebenheiten“, sagte Corinna, „meine
Mutter hat einmal ein Schnitzel mitsamt Folie in die Pfanne geworfen. Das hat
so fürchterlich gestunken und gequalmt, dass die Nachbarn die Feuerwehr
alarmiert haben. Hmm“, Corinna schob sich einen Löffel Eis mit Ananas in den
Mund.
Sabine schluckte eine Erdbeere hinunter und erinnerte sich:
„Markus hat sich oft tagelang im Keller verkrochen und mit der alten
Carrerrabahn von Felix gespielt. Er hat die Rennstrecken aufgebaut und
stundenlang an der Bahn und den Autos herumgebastelt. Ich glaube, das war zum
Schluss das Einzige, was ihm irgendwie noch ein bisschen Spaß gemacht hat.“
„Vielleicht war es auch ein Stück Erinnerung an eine gute
Zeit.“
„Kann sein“, sagte Sabine und fügte eher etwas grüblerisch
hinzu, „ach, weißt du, für ihn war es das vielleicht. Aber mir hat das
Getuschel in der Hausgemeinschaft darüber sehr zu schaffen gemacht. Manchmal
hatte ich das Gefühl, das hinter meinem Rücken jeder über mich beziehungsweise
über uns herzieht.“
„Ja, das Gefühl habe ich selbst erlebt und weiß, wovon du
redest. Gab es eigentlich einen Auslöser für Markus erneuten Rückfall nach
eurem Umzug?“
Sabine atmete tief durch, bevor sie berichtete: „Ich weiß es
nicht genau, man sucht ja immer nach einem Grund, auch wenn ein Alkoholiker den
nicht unbedingt braucht. Er hatte mit viel Glück
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