Eine Socke voller Liebe
Überschallgeschwindigkeit durch ihren Körper rauschen
und ihre Sinne trüben.
Sie rieb sich mit den Händen über die Augen und atmete tief
ein und aus. Im nächsten Moment sah sie wieder klar, und auch ihr Verstand
schien wieder normal zu arbeiten.
„Perdone“, drängelte ein Kellner mit vollem Tablett an den
Frauen vorbei.
„Ich glaube, wir stehen hier ziemlich ungünstig“, meinte
Corinna und drückte sich gegen die Wand, um einem Fischteller zu entgehen, der
gefährlich nahe an ihrem Kopf vorbeigetragen wurde.
Sabine bemerkte die Enttäuschung in Andreas Gesicht, als sie
sagte: „Ja, ich glaube auch, wir sollten hier besser wieder das Feld räumen,
bevor ein Tintenfisch auf unserem Kopf landet.“
„Ja dann, buen camino“, ertönte es im Chor, als die Frauen
sich verabschiedeten und das Lokal verließen.
24. Tango
Meseta ade! Hinter León begann eine total andere Landschaft,
obwohl der Camino immer noch über die Hochebene führte.
Die Gegend war mit grünen Büschen und Bäumen locker
bewachsen, und es gab kaum Steigungen. Der staubige Sandweg, über den sie
liefen, war rechts und links von blühendem Thymian gesäumt. Die ganze Luft war
von seinem herrlichen Duft erfüllt.
Heute Morgen hatten sie sich von Corinna verabschiedet, mit
der sie den gestrigen Abend in einem gemütlichen Restaurant verbracht und
anschließend den Pilgergottesdienst der Benediktinerinnen besucht hatten.
Andrea hatte sich den ganzen Abend über besonders lustig und
unterhaltend gezeigt, und ihr ganzes Repertoire an Witzen aufgefahren. Auch
heute Morgen beim Frühstück wirkte sie noch aufgekratzt.
Sie war eine Meisterin darin, sich nichts anmerken zu lassen
und ihre Gefühle hinter einer lustigen Maske zu verstecken.
Sabine waren sie trotzdem aufgefallen: Die verstohlenen,
fragenden Blicke, die Michael und Andrea gewechselt hatten und die Spannung und
Unsicherheit, die von ihrer Freundin Besitz ergriffen hatten.
Erst jetzt, nachdem sie bereits wieder mehrere Kilometer
gelaufen waren, verstummte Andreas Redeschwall allmählich, und ihre innere Ruhe
kehrte langsam zurück.
Seit sie Michael in León wiedergesehen hatte, wusste sie,
dass er in Gedanken genauso bei ihr war wie sie bei ihm.
Sie hatten kein Wort miteinander gesprochen und doch hatte
sein Blick ihr alles gesagt. Wie durch einen seidenen Faden fühlte sie sich
jetzt mit ihm verbunden.
Aber darüber konnte sie nicht sprechen. Sie hatte Angst,
diesen Zauber dann zu verlieren.
Nach fünfstündigem Wandern kehrten die Freundinnen in einer
behaglichen privaten Herberge ein, die ein kleines Viererzimmer für sie
bereithielt.
In dem gemütlichen Innenhof saßen bereits einige Pilger, die
sich hier auf schattigen Plätzen unter Bäumen ausruhten und Cerveza tranken.
Die Freundinnen setzten sich zu einem Paar an den Tisch. Die
holländischen Eheleute waren mit zwei Fahrrädern unterwegs, die sie in einer
Ecke abgestellt hatten. Eines davon war ein uralter, rostiger Drahtesel ohne
Gangschaltung.
Der Mann, der Willem hieß, erzählte, dass er dieses Fahrrad
von seinem Vater geerbt habe. Am Sterbebett habe er ihm versprochen, mit diesem
alten Fitse von Amsterdam nach Santiago de Compostela zu fahren. Wenn er damals
schon gewusst hätte, auf was er sich da einlässt, dann hätte er der Bitte nicht
so leichtfertig nachgegeben. Aber jetzt wollte er auch bis Santiago
durchhalten.
„Alle Achtung“, meinte Andrea anerkennend, „ich weiß nicht,
ob ich das durchgestanden hätte.“
„Wenn man einfach ganz fest daran glaubt, dann schafft man
vieles“, erwiderte Willem mit einem Augenzwinkern.
Die Essensglocke unterbrach schrill die Unterhaltung, und die
Gruppe, die in die Gaststube eilte, erinnerte ein bisschen an eine Schulklasse
nach der Pause.
Sabine und Andrea setzten sich mit Willem und Marijke an
einen Tisch und aßen mit großem Appetit die leckere Gemüsesuppe und die
flockige Tortilla.
Nach dem Essen griff der Wirt zur Gitarre und sang mit
sonorer Stimme spanische Lieder.
Die männlichen Dorfbewohner, die sich hier getroffen hatten,
um an der Theke stehend bei einem Gläschen Vino oder Cerveza zu schwatzen,
klatschten in die Hände und stampften mit den Füßen im Takt dazu.
Sofort war eine ausgelassene Stimmung im Raum. Es dauerte
keine fünf Minuten, da gab es niemanden mehr, der nicht ebenso in die Hände
klatschte und sich im Takt bewegte.
Bald tanzten die ersten Paare zwischen den Tischen.
Als Pepes Frau hinter der Theke erschien und den
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