Eine Socke voller Liebe
und holte ihre Kamera.
Einige der Zimmergenossen amüsierten sich köstlich über die
beiden Frauen und sparten nicht mit dummen Sprüchen.
„Dann habe ich jetzt also ein ernsthaftes Garderobenproblem
auf dem Camino!?“, fragte Sabine und posierte für ein Foto.
Andrea überlegte: „Nee, das kann ja wohl nicht wahr sein!
Also, lass mich mal überlegen. Ich habe noch mein XL-Shirt im Rucksack, weil
ich das heute Nacht anziehen wollte. Wenn du die Leggins und die Wandersandalen
anbehalten willst, könntest du das vielleicht überziehen.“
„Gib mal her. Ich versuch’s.“
Das pinkfarbige Riesenshirt war viel zu weit und die halben
Ärmel hingen über Sabines Ellbogen.
„Wenn ich mir den Hosengürtel umbinde, schlackert das Shirt
nicht so. Außerdem reicht es auf jeden Fall über den Po. Das ist doch prima.
Guck mal. Sieht fast aus wie ein Supermini.“
Sabine band sich den Gürtel um und tänzelte zwischen den
Betten auf und ab.
„Pink ist ja nun nicht gerade die Toppfarbe zu deinen roten
Haaren“, meinte Andrea mit ernster Miene, um gleich darauf wieder zu kichern,
„aber das sieht trotzdem besser aus, als dein helles Kleidchen. Die Leggins
steht dir übrigens gut. Sie betont deine schönen Beine. Aber die dicken Socken
musst du ausziehen.“
„Nee, ist mir zu kalt. Außerdem ist mir das jetzt alles
ziemlich wurscht. Ich habe nämlich einen Mordshunger“, beschloss Sabine, „ich
ziehe über die Vliesjacke noch die rote Regenjacke, dann hab ich den modernen
Lagenlook. Verschiedene Rottöne sind doch grade in. Wusstest du das nicht?“
Die beiden Freundinnen glucksten immer noch vor Lachen, als
sie über die Dorfstraße bergauf liefen.
„Schade nur, dass dich deine Kinder so nicht sehen können.
Ich muss unbedingt noch ein Foto von dir machen. Du bist nämlich eine richtige
Augenweide!!“
„So etwas muss man nur mit dem richtigen Selbstbewusstsein
tragen, dann wirkt es wie der letzte Schrei der Pariser Haute Couture.“
„Na, vielleicht eher wie eine Kreation von Vivienne
Westwood“, meinte Andrea und zückte die Kamera, während Sabine leicht gegen
eine Bank gelehnt, ein Bein vorstellte, den Kopf zur Seite neigte und mit einer
Hand in ihre lockigen Haare griff.
Das Restaurant war bereits ziemlich voll, als die beiden
Freundinnen kichernd eintraten. Sie blieben am Eingang stehen und schauten sich
suchend nach zwei freien Plätzen um. Aus der hinteren Ecke winkte ihnen jemand
zu. Es war Max, der dort mit einer jungen Frau am Tisch saß.
Sabine seufzte und meinte: „Das hätte jetzt aber nicht sein
müssen.“
„Du trägst immerhin die neueste Mode aus London“, bemerkte
Andrea und ging schnurstracks auf den Tisch zu. Sabine schlich hinter ihr her
und zupfte an ihrem Shirt. Die Regenjacke hatte sie gleich am Eingang
ausgezogen und an die Garderobe gehängt. Plötzlich war ihr ihr Outfit doch ein
bisschen peinlich.
Aber Max schien das gar nicht zu bemerken.
Die junge Frau war eine französische Studentin aus Bordeaux
und hieß Geraldine. Sie studierte Deutsch und freute sich, ihre
Sprachkenntnisse an den „Mann“ bzw. die „Frau“ bringen zu können.
Sie erzählte von ihrer großen Familie und dem sechzehnjährigen
kranken Bruder. Seinetwegen machte sie diese Pilgerreise. Gemeinsam hatten sie
den Weg ein halbes Jahr lang geplant; aber er musste vor einigen Wochen
notoperiert werden und war voraussichtlich für eine lange Zeit nicht mehr in
der Lage, eine solche Strapaze auf sich zu nehmen. Eine weitere Operation lag
noch vor ihm. Geraldine hatte sich allein aufgemacht und pilgerte von León bis
Santiago de Compostela. Sie versuchte, ihn täglich via Internet oder Handy über
ihre Reise zu informieren. Er freute sich, dass er sie wenigstens auf diese
Weise begleiten konnte.
Diese stark berührende Geschichte machte Sabine leicht
beschämt. Mein Gott, wie unwichtig war dagegen ihr Outfit! Davon hing nichts,
aber auch gar nichts ab. Das war nicht mal eine Erzählung, geschweige denn eine
Rechtfertigung wert.
Noch während sie das dachte, fing sie den belustigten Blick
von Max auf.
„Guck nicht so frech“, entfuhr es ihr. „ich weiß, dass ich
bescheuert aussehe.“
„Nein, das finde ich ganz und gar nicht“, grinste Max.
Sabine war einen Moment verunsichert und fiel in einen
Redeschwall: „Mir ist das peinlich. Meine Sachen waren alle in der
Waschmaschine und noch nicht trocken. Andrea hat mir mit diesem Riesenshirt
ausgeholfen.“ Noch während sie das aussprach, wurde
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