Eine Socke voller Liebe
ihm ihre diktierte, stand Sabine auf und ging zur
Toilette.
Als sie zurückkam, saß Max allein am Tisch.
„Andrea ist schon in eure Herberge gegangen. Sie hatte Angst,
sonst vor verschlossenen Türen zu stehen. Es ist gerade zehn Uhr.“ Er machte
eine Atempause und sah ihr in die Augen. „Du musst dich beeilen, wenn du nicht
bei mir schlafen willst.“ Er hatte ein unwiderstehlich charmantes Grinsen im
Gesicht.
Sie lächelte keck zurück.
„Und wenn doch?“
„Dann gehen wir jetzt!“
Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich, um ihr einen
Kuss auf den Mund zu drücken, bevor sie nebeneinander die Treppe hoch stiegen
und in seinem Zimmer verschwanden.
27.
Sehnsüchte
Der Morgen dämmerte und Vogelgezwitscher drang durchs offene
Fenster, als Sabine erwachte. Sie blickte den schlafenden Max lächelnd an und
stand vorsichtig auf, um ihn nicht zu wecken. Schnell schlüpfte sie in ihre
Leggins und zog das große Shirt über.
Dann sah sie den Bierdeckel auf dem Tisch liegen.
„Es war sehr schön mit dir. Buen Camino. D.S.“, schrieb sie
dazu und schlich leise aus dem Zimmer.
Als sie auf die Straße trat, verließen gerade die ersten
Pilger die Herberge. Leise betrat sie den Schlafraum. Andrea lag noch schlafend
auf ihrem Bett. Sabine kletterte in das obere Stockbett und kuschelte sich in
ihren Schlafsack neben die Freundin. „Hola, du Nachteule“, flüsterte eine
bekannte Stimme neben ihr.
„Ich dachte, du schläfst noch“, flüsterte Sabine zurück.
„Tja, das Denken solltest du den Pferden überlassen, die haben
einen größeren Kopf als du.“
„Sollen wir auch schon aufstehen? Ich bin hellwach. Wir
müssen noch unsere Wäsche abnehmen und könnten uns oben in der Küche einen
Kaffee machen, bevor wir loslaufen.“
„Okay“, gähnte Andrea und kletterte aus ihrem Bett.
Während sie die Wäsche zusammenlegte, trällerte Sabine leise
ein Lied vor sich hin.
Andrea konnte es sich nicht verkneifen, zu fragen: „Und –
war‘s schön?“
„Ja, sehr schön. War übrigens nett von dir, dass du in die
Herberge gegangen bist.“
„Man hörte es ja förmlich knistern zwischen euch. Da wollte
ich dir deine Entscheidung nicht unnötig schwer machen.“
„Danke, du altes Haus“, lachte Sabine. „Es war gut so, und es
war wichtig. Für mich. Mehr kann ich dir dazu im Moment auch nicht sagen.
Andererseits will ich mir jetzt gar nicht den Kopf zerbrechen, sondern meinen
Weg hier einfach weitergehen und schau‘n, was passiert.“
Als die Freundinnen um sieben Uhr die Herberge verließen, lag
der Morgennebel noch über den Häusern. Es war kalt und beim Aufstieg auf den
Puerto de Foncebadon verdichtete sich der Nebel. Schade, dass sich die schönen
Ausblicke in die Maragateria dahinter verbargen.
Foncebadon war bis vor einigen Jahren ein total verlassener
Ort, in dem wilde Hunde hausten, die manchen Pilger tüchtig erschreckt haben.
Zwischen den verlassenen, baufälligen Ruinen, standen inzwischen einige neu
restaurierte Häuser.
Andrea und Sabine kehrten in einer Albergue ein, um sich bei
einem warmen Tee aufzuwärmen und zu verschnaufen.
Danach mussten sie weiter bergauf laufen, um zu dem berühmten
Cruz de Ferro zu laufen. Aus einem großen Steinhaufen ragte ein langer
Eichenpfahl, auf dem ein kleines Eisenkreuz angebracht war. Seit Jahrhunderten
legten viele Pilger an diesem Kreuz einen Stein ab.
Auch Andrea und Sabine hatten sich zu Hause einen Kieselstein
in den Rucksack gepackt, um ihn hier abzulegen. Sinnbildlich bedeutete dieses
Ritual das Abwerfen einer Last.
Sie warfen die Steine über den Rücken auf den großen Haufen,
in dem sie verschwanden….
Andrea dachte an Benjamin und Karl-Heinz. Das Abwerfen einer
Last. Was war mit Michael?
Loslassen, um neu beginnen zu können. Das war es.
Sabine dachte an Markus und an Max…, von dem sie außer seinem
Vornamen und seiner E-Mail-Adresse nichts wusste. Ja, sie war neugierig auf
sein Leben, aber darüber hatten sie nicht gesprochen. Sie hatten ihr
Zusammensein einfach nur genossen. Sie hatte sich in seinen Armen so lebendig
gefühlt wie schon lange nicht mehr. Es war alles so einfach und fast
erschreckend selbstverständlich gewesen. Seine Direktheit und Spontaneität
hatten sie gereizt. Und nur deshalb, weil er so anders war als Markus, hatte
sie mit ihm schlafen können.
Sie hatte seine Zuwendung und Zärtlichkeit ausgekostet. War
sie verliebt? Ihr gefielen seine fröhliche, unkomplizierte, selbstverständliche
Art und
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