Eine Spur von Lavendel (German Edition)
und immer wieder diese Frage.
Die Frage nach dem Motiv war stets vorrangig, gehörte nun einmal zu seiner täglichen Arbeit. Aber in dieser speziellen Angelegenheitwar sie für Alexander sogar zum Mittelpunkt seines beruflichen Denkens geworden.
Die Ampel sprang um auf Grün, aber da die Kreuzung vor ihm hoffnungslos verstopft war, blieb er einfach an Ort und Stelle stehen, um eine weitere Rotphase abzuwarten.
Manchmal fiel es Alexander noch immer schwer, wirklich zu realisieren, wie sehr sein Leben sich verändert hatte. Frank, ja, Frank war eigentlich der Auslöser gewesen. Sein Tod hatte überhaupt erst das Zusammentreffen mit Linda möglich gemacht, hatte seinem Leben die Wende gebracht und endlich den nötigen Sinn gegeben. Aber Franks Tod hatte auch noch eine Menge anderer Dinge zum Vorschein gebracht. Unschöne Wahrheiten waren ans Tageslicht gezerrt worden, die sein festes Bild von einem alten Freund wie ein Kartenhaus zum Einsturz gebracht hatten. Und er konnte noch immer nicht begreifen, dass der Frank, den er gekannt, gemocht und nicht zuletzt geachtet hatte, eine Frau – seine Frau – auf die gemeinste Art und Weise erniedrigt und ihr dazu auch noch Gewalt angetan hatte.
Er versuchte nachzuempfinden, was einen Mann dazu treiben konnte, so weit zu gehen und einer so zarten und wehrlosen Person derart Gewalt anzutun. Die Gründe, die ihm in den Sinn kamen, hatten allesamt irgendwie mit Geisteskrankheit, sozialer Verrohung und Hass auf die Frauen im Allgemeinen zu tun. Allerdings schien nichts von alledem auf Frank zuzutreffen.
Trotzdem hatte er es getan, hatte sie immer und immer wieder verletzt. In Alexander erwachte aufs Neue der brennende Wunsch, Rechenschaft von Frank zu fordern – und wieder verspürte er in seiner grenzenlosen Wut den beißenden Drang nach Genugtuung.
„Wenn es ein Jenseits gibt … wenn du uns sehen kannst, dann sieh gut hin, Frank! Sieh dir an, wie glücklich wir miteinander sind. Sie und ich … und deine Tochter. Sieh ganz genau hin, du elende Ratte – und, verdammt noch mal, wenn es ein Jenseits gibt, dann warte … warte dort auf mich …“
Ohne dass er es bewusst wahrgenommen hätte, war er inzwischenvor dem Haus angekommen. Er ließ den Wagen ausrollen, stellte den Motor ab und löste seinen Sicherheitsgurt. Ein heißer Schauer lief ihm plötzlich durch den Körper. Die Heftigkeit dieses Gefühls traf ihn unvorbereitet, ließ ihn regelrecht erstarren und gleichzeitig laut nach Luft schnappen.
„Das ist es!“, rief er laut in die Stille seines Wagens hinein. „Verdammt noch mal! Das muss es sein!“
Die ungeheuren Adrenalinströme, die seinen Geist und seinen Körper innerhalb von nur wenigen Augenblicken durchzogen und bis in die kleinsten Nervenenden hinein aufpeitschten, ließen ihn noch mehrere Male tief durchatmen, bevor er sich endlich imstande sah, aus dem Wagen auszusteigen.
Das Haus war hell erleuchtet. Er wusste, dass Linda heute bereits am frühen Nachmittag Elisabeth Bergstedt den Laden allein überlassen hatte, und er beeilte sich damit, die Haustür aufzuschließen und nachzusehen, wo sie steckte. Das Bedürfnis danach, sie jetzt auf der Stelle anzusehen und zu berühren, war so übermächtig wie das anhaltende Vibrieren seiner Nerven. Die Spannung in seinem Inneren war so stark, dass er das Gefühl hatte, förmlich unter Strom zu stehen.
Er entdeckte sie im Wohnzimmer. Sie saß auf einem der Stühle im Erker und telefonierte gut gelaunt mit Monika, wie er sehr schnell heraushörte.
„Ja, er ist gerade nach Hause gekommen, Monika. Okay, ich werde es ihm sagen, bis bald.“ Sie legte auf und kam ihm strahlend entgegen. „Monika meinte gerade, sie wundert sich zwar drüber, aber sie freut sich tatsächlich auf dich. Sie sind vor …“
Er unterbrach den drohenden Redeschwall, indem er sie heftig an sich zog. Dann küsste er sie inbrünstig.
„Ich habe dich auch vermisst“, brachte sie mit einem atemlosen Grinsen hervor, als er nach einer kleinen Ewigkeit schließlich von ihr abließ.
Seine Hände gruben sich in ihr Haar, und zum ersten Mal an diesem tristen Tag lächelte er. „Was wolltest du gerade sagen? Ich glaube, ich habe dich unterbrochen.“
„Ich habe keine Ahnung. Ach doch.“ Ihr Lachen war wohltönendund voller Wärme. „Sie sind vor einer Stunde in Hamburg angekommen. Den Rest kennst du ja schon.“
„Wo ist Charlie?“, wollte er mit heiserer Stimme wissen, ohne seine Finger aus ihrem Haar zu lösen. Sein Blick
Weitere Kostenlose Bücher