Eine Spur von Lavendel (German Edition)
„Die anderen Kollegen wissen Bescheid?“
„Ja. Sie warten nur noch auf ein Zeichen von dir.“
„Gut.“
Merkwürdigerweise war Alexander in der ganzen Zeit noch nicht wieder in der Wohnung von Anneliese Michaelsen gewesen. Es hatte sich einfach nicht ergeben. Nur so war es zu erklären, dass er sich jetzt mit einem Schlag in seine Jugendzeit zurückversetzt fühlte, als er vor der schweren dunklen Eichentür stand und auf den vergilbten Plastikklingelknopf drückte. Innerhalb von wenigen Sekunden wurde ihm bewusst, wie sehr auch er persönlich gefühlsmäßig eingebunden war. Erneut wünschte er sich inbrünstig, er wäre in der Lage gewesen, sich aus diesem Fall herauszuhalten.
Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, leuchteten Annelieses Augen zunächst erfreut auf, als sie sich Alexander gegenübersah, doch dann erblickte sie auch Tobias Kroning, und das Leuchten erlosch sofort wieder. Nach einem weiteren langen, sehr ernsten Blickwechsel mit Alexander trat sie einen Schritt zurück und bat die beiden Männer herein.
Obwohl der Blick, den sie mit Alexander getauscht hatte, keinen Zweifel mehr am eigentlichen Grund dieses Besuchs zuließ, hielt Anneliese noch für einige Minuten verzweifelt an der Normalität fest. „Kommt herein. Ich habe gerade frischen Kaffee aufgesetzt.“ Sie lachte nervös auf und ging voran ins Wohnzimmer.
„Man könnte glauben, ich hätte euch erwartet, oder? Setzt euch doch. Nehmen Sie bitte dort Platz, Herr Kroning.“ Mit einer einladenden Handbewegung deutete sie auf das Sofa.
Alexander wurde die Kehle eng. Es erschien ihm, als hätte sich hier in den vergangenen Jahren nicht das Geringste verändert. Vielleicht eine andere Tapete, aber die Möbel waren noch immer nicht erneuert worden. Er kannte das beigefarbene Samtsofa mit den zwei passenden Sesseln ebenso gut wie die alte Anrichte aus Mahagoni, aus der Anneliese gerade zwei weitere Tassen nahm, um sie auf den Couchtisch zu stellen. Über zwei Jahre seines Lebens hatte er hier viel mehr Zeit verbracht als im eigenen Zuhause – und das hatte nicht zuletzt auch an der Frau gelegen, der er jetzt erneut gegenübersaß.
Während er Anneliese Michaelsen dabei beobachtete, wie sie die Tassen mit dampfendem Kaffee füllte, nahm er insgeheim und schweren Herzens Abschied von einem Gefühl, das ihm all die Jahre erhalten geblieben war, ohne dass es ihm auch nur eine Sekunde wirklich bewusst gewesen wäre.
„Schwarz und stark, so hast du ihn doch am liebsten, nicht wahr, mein Junge?“, fragte sie mit dünner Stimme.
„Ja, schwarz und stark. Du hast schon immer den allerbesten Kaffee gemacht, Anneliese.“
Alexander fühlte den fragenden Blick von Tobias, auch ohne dass er ihn dafür ansehen musste. „Du weißt, warum wir heute hier sind, nicht wahr, Anneliese?“
„Ich kann es mir denken, Alex. Ich kenne dich vielleicht viel besser, als du glaubst. Ich habe gewusst, dass du es irgendwann herausfinden würdest. Im Grunde bin ich seit Franks Beerdigung auf diesen Augenblick vorbereitet. Du hast dort an seinem Grab gestanden, und ich wusste, du würdest … Es sind deine Augen, weißt du? Deine Augen vermitteln einem immer das Gefühl, sie könnten alles sehen – einfach alles!“
Das leichte Zittern in ihrer Stimme verschwand wieder. „Obwohl ich mich eigentlich sehr darüber gewundert habe, warum nicht einer deiner lieben Kollegen“, sie warf einen kurzen, fast anklagenden Blick auf Tobias, „schon vorher auf die Idee gekommenist, ich könnte etwas mit dem Tod meines jüngsten Sohnes zu tun haben.“ Ihre müden stahlblauen Augen ruhten jetzt wieder auf Alexander. „Du bist hier, um ein Geständnis von mir zu bekommen, hab ich recht?“
„Ja, du hast recht.“
„Bis jetzt dürftest du nur reine Vermutungen haben, Alexander. Nicht mehr und auch nicht weniger. Und trotzdem bist du dir absolut sicher, nicht wahr?“
„Das siehst du vollkommen richtig.“
Alexander ignorierte das überraschte zischende Atemgeräusch seines Kollegen, denn ihm war bereits jetzt klar, dass Anneliese Michaelsen nichts mehr vor ihm zurückhalten würde. Tobias Kroning konnte das natürlich nicht wissen. Er kannte Anneliese Michaelsen nicht, und Alexander war durchaus bewusst, dass der junge Kommissar sich über die ungewöhnliche Art und Weise dieser Befragung nur wundern konnte.
Erstaunt hob Anneliese ihre Augenbrauen. „So, so. Nun, daran soll es nicht scheitern, mein Junge, dein Geständnis kannst du gerne haben. Ich habe sowieso
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