Eine Spur von Lavendel (German Edition)
keine Kraft mehr. Deine sicherlich sehr klugen Vermutungen interessieren mich allerdings trotzdem. Dann sag mir doch mal, du Schlaukopf, warum ich meinen eigenen Sohn umgebracht haben könnte.“
Alexander setzte seine Kaffeetasse ab und erwiderte wieder Annelieses ruhigen Blick. „Zugegeben, darüber habe ich mir die längste Zeit den Kopf zerbrochen – und es kam für mich zunächst nur ein einziger Grund infrage. Das heißt, eigentlich sind es zwei Gründe, aber das läuft auf einen einzigen Punkt hinaus: Linda und Charlotte – und zwar in genau dieser Reihenfolge. Du wusstest, was Frank Linda antat, und du hast auch schon vor einiger Zeit von seinem Doppelleben erfahren. Das habe ich mir inzwischen von Walter bestätigen lassen. Du liebst Linda und Charlie über alles. Wahrscheinlich hast du es einfach nicht mehr länger ertragen, was dein Sohn diesen beiden Menschen antat. Allerdings … reichte mir diese Erklärung noch nicht. Ich bin mir darüber klar geworden, dass es ein Zusammenspiel, sozusagen eine Verkettung mit deiner persönlichen Geschichte gegeben habenmuss, damit du diese Liebe so radikal über die Gefühle stellen konntest, die du für Frank gehabt haben musst. Es interessiert mich, was dich diesen finalen Schritt tun ließ, Anneliese. Sag du es mir, denn dass da noch etwas anderes eine Rolle gespielt hat, dessen bin ich mir sicher.“
„Du hast in der Tat einen verdammt klugen Kopf. Aber zuerst sag du mir noch, wie du überhaupt auf mich gekommen bist, Alex.“
„Es war ein klitzekleiner Zufall, Anneliese, auch eine Verknüpfung, wenn du so willst. Wie so oft im Leben. Zu Beginn der Ermittlungen stand eine Zeit lang Linda unter Verdacht. Als mein Vorgesetzter mich darüber informierte, fiel mir unter anderem auf, dass ich sie nie danach gefragt hatte, wo sie sich zum Zeitpunkt von Franks Ermordung aufgehalten hatte. Ich konnte mir zunächst nicht erklären, warum ich noch nicht einmal auf die Idee gekommen bin, sie nach ihrem Alibi zu fragen, denn schließlich ist diese Frage einer der Hauptbestandteile jeder Morduntersuchung und somit auch meiner täglichen Arbeit. Sie ist mir sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, verstehst du?“
Anneliese nickte.
„Schließlich gab es für mich nur eine Erklärung“, fuhr Alexander fort. „Linda war mir nicht nur persönlich sehr wichtig, nein, ich traute ihr dieses Verbrechen schlichtweg nicht zu. Mein Unterbewusstsein hatte mir eine Grenze auferlegt. Verstehe mich richtig, wir befassen uns natürlich häufig mit Mördern, denen man weiß Gott nicht ansehen kann, wozu sie tatsächlich fähig sind, aber darum geht es hier nicht … Dieser spezielle Vorgang im Gehirn, von dem ich spreche, ist wie eine natürliche unsichtbare Mauer. Einem kleinen Kind traut auch niemand einen Mord zu, oder? Der gleiche – in der Psychologie übrigens durchaus bekannte Mechanismus – setzt manchmal auch bei Erwachsenen ein. Man kann selbst als erfahrener Ermittler nichts dagegen tun. Da gibt es diese Mauer in deinem Kopf, die den Blick auf das Wesentliche verhindert – und du springst einfach nicht drüber. Du siehst sie noch nicht einmal. Verstehst du, was ich ausdrücken will?“
„Ja, aber was hat das mit mir zu tun, Alex?“
„Kurz nach meiner Rückkehr aus Frankreich las ich mir die Ermittlungsakte von Frank durch und stolperte sozusagen dabei zweimal. Einer dieser Stolpersteine war, dass offenbar niemand, nicht ein einziger meiner Kollegen, sich um dein Alibi gekümmert hatte. Jeder der Beteiligten war in dieser Hinsicht überprüft worden, nur du nicht.“
Anneliese lächelte milde. „Ich hatte ihnen in irgendeinem ersten Gespräch doch von mir aus gesagt, dass ich zum Zeitpunkt des Mordes noch in meinem Imbiss gearbeitet habe.“
Alexander nickte. „Ja, das hast du gesagt, aber niemand hat jemals deine Angaben auf ihre Richtigkeit überprüft, obwohl dieser Vorgang eigentlich zur Routinearbeit gehört. Es ist ein manchmal lästiger, aber notwendiger Bestandteil jeder Mordermittlung. Wie gesagt, dein Alibi überprüfte niemand. Ein unentschuldbarer Fehler, wenn du mich fragst. Während ich die Akte studierte, ärgerte ich mich also zunächst über meine Kollegen, bis mir plötzlich einfiel, dass auch ich schon einmal diesen Fehler begangen hatte, wenn auch aus einer rein persönlichen Motivation heraus. Eben einige Monate zuvor, als es um Lindas Alibi gegangen war. Damals haben meine Kollegen vernünftig gearbeitet und konnten den Verdacht
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