Eine Spur von Verrat
schönfärberisch, Miss Latterly. Ich habe eiskalt gelogen, und man hat mir jedes Wort geglaubt. Nur die Umstände waren anders.«
»Da bin ich mir sicher.«
»Nichtsdestotrotz werde ich Ihren Vorschlag in die Tat umsetzen, wenn Sie wollen«, wischte Louisa die Bemerkung beiseite. »Es könnte ganz unterhaltsam sein – mal was anderes. Doch, je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee.« Sie drehte sich schwungvoll vom Fenster weg und kehrte zum Kamin zurück. »Ich werde einen stillen Kreuzzug führen, um intelligente junge Frauen von Stand zu Krankenschwestern zu machen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie meine Bekannten meine neugewonnene Überzeugung aufnehmen werden.« Sie marschierte auf Hesters Stuhl zu, blieb vor ihr stehen und schaute auf sie hinab. »Und nun erzählen Sie mir lieber etwas über diesen wundervollen Beruf, wenn ich schon so in Schwärmereien darüber ausbrechen soll. Ich mache nicht gern einen uninformierten Eindruck. Möchten Sie eine kleine Erfrischung, während wir uns unterhalten?«
»Danke, das wäre sehr nett«, nahm Hester das Angebot an.
»Ach übrigens – wen haben Sie sonst noch gefragt?«
»Sie sind bisher die einzige«, gab Hester wahrheitsgetreu zurück. »Ich habe noch mit niemandem darüber gesprochen. Ich will nicht so einen Wirbel darum machen.«
»Doch, doch – ich glaube, das Ganze wird überaus amüsant.« Louisa griff nach der Glocke und ließ sie energisch durch die Luft sausen.
Hester war immer noch emsig dabei, die Krankenpflege in einem dramatischen und gloriosen Licht erstrahlen zu lassen, als Maxim Furnival nach Hause kam. Er war ein großer, schlanker Mann mit dunklem, empfindsamem Gesicht, dessen bewegliche Züge sie sich ebensogut schmollend wie freudestrahlend vorstellen konnte. Im Rahmen der üblichen Höflichkeitsbekundungen lächelte er ihr freundlich zu und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Als Louisa ihn über Hester und den Grund ihres Besuchs aufklärte, schien er ernsthaft interessiert.
Sie verbrachten eine Weile mit manierlichem Geplauder, Maxim charmant, Louisa kühl, Hester vollauf mit den Antworten auf ihre zahlreichen Fragen über die Krim beschäftigt. Sie konzentrierte sich nur halbherzig darauf. Was sie viel mehr in Anspruch nahm, war die Frage, ob und in welchem Maße Maxim Alexandra geliebt hatte, oder ob er wegen Louisas unbekümmertem, absolut selbstsicherem Geflirte vor Eifersucht wie rasend gewesen war. Sie konnte sich Louisa unmöglich als zärtliche, hingebungsvolle Frau vorstellen, die zu mehr als körperlicher Lust imstande war. Sie schien jemand zu sein, der seine Gefühle stets in der Gewalt haben mußte.
War Maxim nach dem Abflauen der ersten Leidenschaft vor dieser Kälte zu einer warmherzigeren Frau geflüchtet, einer Frau, die geben und nehmen konnte? Zu Alexandra Carlyon?
Hester hatte keine Ahnung. Wieder einmal – und das voll Staunen – wurde ihr bewußt, daß sie Alexandra Carlyon noch nie gesehen hatte. Alles, was sie von ihr wußte, entsprang Monks und Rathbones Erzählungen.
Ihre Aufmerksamkeit ließ nach, und sie fing an, sich zu wiederholen. Sie sah es an Louisas Gesicht. Sie mußte besser aufpassen.
Doch ehe sie den Fehler wettmachen konnte, tat sich die Tür auf, und ein etwa dreizehnjähriger Junge kam herein. Er war enorm groß und schlaksig, als wäre er für seine Muskeln einfach zu lang geworden. Trotz des dunklen Haars waren seine Augen leuchtend blau. Die Augenlider hingen ein wenig herab, die Nase war lang. Was sein Verhalten betraf, wirkte er ungewöhnlich schüchtern, wie er so halb hinter dem Rücken seines Vaters stehenblieb und Hester aus der Ferne neugierig beäugte.
»Äh, Valentine.« Maxim versetzte ihm einen sanften Schubs nach vorn. »Das ist mein Sohn Valentine, Miss Latterly. Miss Latterly war mit Miss Nightingale auf der Krim, Val. Sie möchte, daß Mama anderen gebildeten jungen Frauen aus gutem Hause den Beruf der Krankenschwester ans Herz legt.«
»Wie interessant. Erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Latterly«, sagte Valentine leise.
»Ganz meinerseits«, gab Hester zurück, während sie sein Gesicht studierte und zu ergründen versuchte, ob der Ernst in seinen Augen Angst oder natürlicher Vorsicht entsprang. Seine Miene verriet nicht die Spur von Interesse, sein Blick war zurückhaltend und wachsam. Die Spontaneität, die sie bei einem Jungen seines Alters erwartet hätte, fehlte ganz. Sie war auf jede Gefühlsregung gefaßt gewesen, selbst
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