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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zusammen, allerdings nicht vor Schmerz, sondern eher wegen seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit und dem Nachteil, in dem er sich derentwegen befand. »Ich bin es leid, hier zu sitzen, wissen Sie. Ich fühle mich so…« Er zögerte abermals, da er sie nicht mit seinen Problemen belasten wollte. Schließlich hatte sie sich nur aus purer Höflichkeit nach seinem Befinden erkundigt. Eine ausführliche Antwort war also nicht nötig. Das Blut schoß ihm schon wieder in die Wangen.
    »Kein Wunder«, pflichtete sie ihm mit einem spontanen Lächeln bei. »Sie müssen sich ja wie… wie im Käfig fühlen. Ich bin es gewohnt, mich ständig in ein und demselben Haus aufzuhalten, und fühle mich schon furchtbar eingesperrt. Wie muß es Ihnen da erst ergehen, wo Sie als Soldat die ganze Welt bereist und immer etwas Sinnvolles getan haben.« Sie beugte sich ein wenig vor und machte es sich unbewußt etwas bequemer. »Sie müssen schon herrliche Flecken gesehen haben.«
    »Nun ja…« Die rosaroten Flecken auf seinen Wangen wurden noch intensiver. »Also, von dieser Warte habe ich es noch gar nicht betrachtet, aber Sie haben recht, ja. Indien zum Beispiel. Kennen Sie Indien?«
    »Nein, leider nicht«, gab Edith unumwunden zu. »Ich wünschte, ich würde.«
    »Wirklich?« Er schien verwundert und hoffnungsvoll zugleich.
    »Selbstverständlich!« Sie musterte ihn, als hätte er eine wahrhaft absurde Frage gestellt. »Wo genau waren Sie denn in Indien? Wie ist es dort?«
    »Ach, das übliche eben«, sagte er bescheiden. »Es sind schon Hunderte von Leuten dort gewesen – Offiziersfrauen und so weiter, und haben dann ellenlange Briefe voller Beschreibungen nach Hause geschickt. Ich glaube nicht, daß ich Ihnen etwas Neues erzählen würde.« Er zögerte und betrachtete seine knochigen Hände, die auf der Decke in seinem Schoß lagen.
    »Aber ich war schon zweimal in Afrika.«
    »Afrika! Wie wundervoll!« Das war echter Enthusiasmus, keine Höflichkeit. Er schwang in ihrer Stimme mit wie Musik.
    »Wo in Afrika? Im Süden?«
    Er beobachtete sie scharf, um sicherzugehen, daß er ihr nicht zuviel zumutete.
    »Anfangs. Dann bin ich Richtung Norden nach Matabeleland und Mashonaland gereist…«
    »Wirklich?« Sie machte große Augen. »Wie ist es dort? Lebt da nicht. Dr. Livingstone?«
    »Nein – der dortige Missionar heißt Dr. Robert Moffatt. Ein bemerkenswerter Mensch, genau wie seine Frau Mary.« Sein Gesicht begann zu leuchten. Die Erinnerung an diese Zeit schien so lebendig zu sein, als läge es erst wenige Tage zurück. »Ich halte sie für eine der bewundernswertesten Frauen überhaupt. Was für ein Mut muß dazu gehören, in ein fremdes Land zu reisen, um den Eingeborenen das Wort Gottes zu predigen.«
    Edith beugte sich eifrig zu ihm vor. »Wie sieht es dort aus, Major Tiplady? Ist es sehr heiß? Ist es ganz anders als in England? Welche Tiere und Pflanzen gibt es?«
    »So viele wilde Tiere haben Sie in Ihrem ganzen Leben nicht gesehen«, sagte er nachdrücklich, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Elefanten, Löwen, Giraffen, Nashörner, Zebras, Büffel und derart zahlreiche Arten von Damwild und Antilopen, daß Sie es sich gar nicht vorstellen können. Ich habe so riesige Herden gesehen, daß das Land nur mehr eine einzige schwarze Fläche war.« Auch er beugte sich unbewußt vor, und sie kam ebenfalls noch ein Stückchen näher.
    »Und wenn ihnen etwas angst macht«, fuhr er fort, »beispielsweise ein Steppenbrand, und sie panikartig die Flucht ergreifen, beginnt der Erdboden unter Zehntausenden von Hufen zu beben und zu dröhnen, während die kleineren Tiere in alle Himmelsrichtungen vor ihnen flüchten wie vor einer Springflut. Ach, da fällt mir ein, der Boden ist vorwiegend rot – sehr fruchtbar und reichhaltig. Oh, und die Bäume.« Er zuckte die Achseln. »Der Großteil des Velds besteht natürlich aus Buschland mit flachkronigen Akazien, aber es gibt auch blühende Bäume, die so wunderschön aussehen, daß man seinen eigenen Augen nicht traut. Und…« Er verstummte jäh, denn in diesem Moment kehrte Hester zurück. »Ach, du meine Güte – jetzt habe ich das Gespräch aber ganz schön an mich gerissen. Sie sind viel zu geduldig mit mir, Mrs. Sobell.«
    Hester blieb abrupt auf der Türschwelle stehen. Dann begann sie langsam von einem Ohr zum andern zu grinsen und kam vollends herein.
    »Überhaupt nicht«, protestierte Edith wie aus der Pistole geschossen. »Hester, hat Major Tiplady dir jemals von seinen

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