Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
wenn es Langeweile oder Gereiztheit gewesen wären, weil er jemandem vorgestellt wurde, der ihm völlig gleichgültig war. Statt dessen schien er auf der Hut zu sein.
    Lag es daran, daß hier vor kurzem erst ein Mord geschehen war? Daß der Junge das Opfer laut Zeugenaussagen sehr gemocht hatte?
    Das klang plausibel. Er stand noch unter Schock. Das Schicksal hatte ihm einen schweren, unerwarteten Schlag versetzt, der jeder vernünftigen Erklärung entbehrte. Vielleicht glaubte er nicht mehr, daß dieses Schicksal gerecht oder gütig sein konnte. Hesters Mitgefühl war geweckt, und sie spürte von neuem den innigen Wunsch, Alexandras Tat zu verstehen, selbst wenn keinerlei strafmildernde Umstände existieren sollten.
    Viel wurde nicht mehr gesprochen. Louisas Ungeduld wuchs, doch Hester hatte ihr Thema gänzlich erschöpft. Nach einigen weiteren banalen Nettigkeiten bedankte sie sich für das Gespräch und ging.
    »Na?« überfiel Major Tiplady sie gespannt, sobald sie wieder in der Great Titchfield Street war. »Haben Sie sich eine Meinung gebildet? Wie ist sie, diese Mrs. Furnival? Wären Sie auf sie eifersüchtig gewesen?«
    Hester war noch nicht einmal ganz durch die Tür und hatte weder Umhang noch Haube abgelegt.
    »Sie hatten vollkommen recht«, gab sie zurück, deponierte die Haube auf dem Beistelltisch, streifte den Umhang ab und hängte ihn an den Haken. »Es war definitiv eine gute Idee, sie aufzusuchen, und es hat erstaunlich gut geklappt.« Sie strahlte ihn an. »Ich war in der Tat bemerkenswert kühn. Sie wären stolz auf mich gewesen. Ich habe den Feind zur Konfrontation gezwungen und den Sieg davongetragen, würde ich meinen.«
    »Jetzt stehen Sie nicht herum und grinsen wie ein Schaf, Mädchen.« Seine Wangen glühten vor Aufregung. »Was haben Sie zu ihr gesagt, und was haben Sie für einen Eindruck von ihr?«
    »Ich habe gesagt« – beim Gedanken daran wurde sie rot –, »sie als einflußreiche Frau könnte junge Damen von Stand und Bildung zu einer Krankenschwesterlaufbahn ermutigen. Schließlich sei sie das Objekt der allgemeinen Bewunderung. Ich habe sie gebeten, diesbezüglich ihre guten Beziehungen spielen zu lassen.«
    »Gütiger Gott. Das haben Sie getan?« Der Major klappte die Augen zu, als müsse er diese verblüffende Neuigkeit erst verdauen.
    Dann klappte er sie wieder auf und schaute Hester groß an.
    »Und sie hat Ihnen geglaubt?«
    »Gewiß.« Sie trat zu ihm und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. »Sie ist eine schillernde, sehr dominante Persönlichkeit, überaus selbstsicher und sich ihrer unterschiedlichen Wirkung auf die Geschlechter bestens bewußt; von Männern wird sie verehrt, von Frauen beneidet. Ich konnte ihr die absurdesten Komplimente machen, und solange ich mich auf ihr unglaubliches Geschick im Beeinflussen von Leuten bezogen habe, hat sie mir jedes Wort abgekauft. Hätte ich sie als tugendhaft oder gebildet hingestellt, hätte sie mir vermutlich nicht geglaubt – aber so…«
    »Du liebe Zeit.« Dieser Stoßseufzer entsprang weniger seiner Betroffenheit als vielmehr seiner Verwirrung. Die Wege der Frauen würden ihm auf ewig unergründlich bleiben. Immer wenn er meinte, er begänne sie zu verstehen, tat Hester etwas völlig Unbegreifliches, und er mußte wieder von vorn anfangen.
    »Und Sie sind zu einem Schluß gekommen?«
    »Haben Sie Hunger?« fragte sie unvermittelt.
    »Ja. Aber erzählen Sie mir zuerst, zu welchem Schluß Sie gekommen sind!«
    »Ich bin nicht sicher. Nur eins steht für mich fest: verliebt war sie in den General nicht. Sie erweckt ganz und gar nicht den Eindruck einer Frau, die furchtbar trauert oder gezwungen ist, ihre Zukunft neu zu gestalten. Ihr Sohn Valentine scheint der einzige zu sein, den sein Tod erschüttert hat. Der arme Junge sah völlig verängstigt aus.«
    Major Tipladys Gesicht war von plötzlichem Mitgefühl erfüllt, als habe ihm Valentines Name die Realität des Verlusts wieder vor Augen geführt. Er hatte es nicht länger mit einem kniffligen Rätsel für einen wachen Verstand zu tun, sondern mit einer menschlichen Tragödie.
    Hester sagte nichts mehr. Sie versuchte, ihre Eindrücke von den Furnivals zu ordnen und hoffte wider besseres Wissen, auf etwas zu stoßen, daß ihr bislang entgangen war, genau wie Monk – und Rathbone.
    Am kommenden Morgen gegen elf versetzte sie die Verkündigung des Mädchens, sie habe Besuch, in basses Erstaunen.
    »Besuch für mich?« fragte sie zweifelnd. »Besuch für den Major, meinen

Weitere Kostenlose Bücher