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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ein gewisser Friede angesichts der Schönheit um ihn herum; der stille Himmel mit den riesigen, bis zum Firmament reichenden Wolkentürmen, die explodierenden Schneebällen glichen; das satte Grün der Landschaft; die aneinandergekuschelten Eichen und Ulmen; die breiten Hecken, von wilden Rosen überwuchert und mit Bärenklau gesprenkelt, der bei manchen Einheimischen »Damenspitze« hieß. Der schwere, intensive Duft von Weißdornblüten senkte sich auf ihn herab und hüllte ihn ein. Die blühenden Kastanienbäume reckten der Sonne Myriaden von Kerzen entgegen, das Getreide trieb bereits hellgrüne, kräftige Sprossen aus.
    Doch all das kratzte nur an der Oberfläche. Es versetzte ihm keinen Schlag, raubte ihm nicht die Sinne, zerriß ihn nicht innerlich, weil ein schwerer Verlust oder erstickende Einsamkeit drohten.
    Seine Rekonstruktionsversuche offenbarten ihm, daß er während der damaligen Untersuchung ziemlich unsanft mit dem Wachtmeister umgesprungen war und mit seiner Kritik hinsichtlich dessen Unfähigkeit in bezug auf Beweissicherung und Beweisführung keineswegs hinter dem Berg gehalten hatte. Er bereute seine barschen Worte, aber jetzt war es zu spät, um sie ungeschehen zu machen. Er wußte nicht, was genau er gesagt hatte; doch die Nervosität des Mannes, seine wiederholten Entschuldigungen und die Beflissenheit, mit der er Monk alles recht zu machen versuchte, sprachen Bände. Warum hatte er ihn so unfreundlich behandelt? Gut, er war korrekt vorgegangen, aber das war unnötig gewesen, und einen besseren Ermittlungsbeamten hatte es auch nicht aus dem Mann gemacht; es hatte ihn lediglich verletzt. Wozu brauchte es überhaupt eine Superspürnase hier in diesem Nest, wo es schlimmstenfalls zu ein paar alkoholbedingten Auseinandersetzungen, vereinzelter Wilderei und dem gelegentlichen Diebstahl von Kleinigkeiten kam? Sich jetzt dafür zu entschuldigen wäre allerdings absurd gewesen, und geändert hätte es auch nichts. Der Schaden war bereits angerichtet. Er konnte sein schlechtes Gewissen kaum durch nachträgliche Gönnerhaftigkeit beruhigen.
    Von dem Arzt, den sein unerwartetes Erscheinen wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf, erfuhr er – auf überaus respektvolle Art und Weise –, mit welcher Unerbittlichkeit er seine Ermittlungen geführt hatte; wie er durch seine außerordentliche Liebe zum Detail, sein sorgfältiges Beobachten von Verhaltensweisen und seine untrügliche Intuition schließlich dahintergekommen war, welches Gift man Jack Worth verabreicht hatte. Außerdem hatte er die Existenz eines unvermuteten Liebhabers aufgedeckt, von dem Margery dazu getrieben worden war, sich ihres Mannes zu entledigen – was ihr schließlich den eigenen frühen Tod eingebracht hatte.
    »Genial«, meinte der Doktor zum xtenmal und schüttelte seinen Kopf. »Einfach genial, wie Se das gemacht ham, das steht mal fest. Früher hab ich ja nie viel für das Londoner Volk übrig gehabt, aber von Ihnen konnte man schon so ’n paar Dinge lernen.« Er beäugte Monk interessiert, aber ohne jede Spur von Sympathie. »Und dann ham Se auch noch das Bild von Richter Leadbetter gekauft – für ’ne ordentliche Stange Geld. Rumgeworfen ham Se mit dem Geld, als ob’s grad so auf er Straße liegen würd! Da reden die Leute heut noch von.«
    »Ein Bild gekauft?« Monk forschte angestrengt in seiner Erinnerung. Unter seinen Sachen befand sich kein herausragend schönes Bild. Hatte er es der Frau geschenkt?
    »Gütiger Gott, ham Se das etwa vergessen?« Der Doktor schaute entgeistert drein und hob ungläubig die sandfarbenen Brauen. »Hat mehr gekostet, als ich im ganzen Monat verdien, das steht mal fest. Wahrscheinlich warn Se so zufrieden mit Ihrer Arbeit. War ja auch ’n echtes Glanzstück, ehrlich wahr, ’n andrer hätte das nie geschafft, da warn wir uns all einig, und vielleicht hat die arme Seele ja gekriegt, wasse verdient, Gott sei ihr gnädig!«
    Damit war seine Enttäuschung endgültig besiegelt. Wenn er seinen Erfolg mit einer derartigen – wenngleich spurlos verschwundenen – Extravaganz gefeiert hatte, konnte er kaum Höllenqualen wegen Margery Worths Tod ausgestanden haben. Es war lediglich ein weiterer, von Inspektor Monk rücksichtslos und genial gelöster Fall gewesen, nicht im mindesten ein Hinweis auf die Frau, an die er sich in letzter Zeit immer wieder erinnerte.
    Es war spät. Er verabschiedete sich von dem Arzt, blieb noch über Nacht und nahm am Dienstagmorgen, dem elften Juni, den Frühzug nach

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