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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gehört haben. Als ich ihn mir ansah, war er zwar bewußtlos, aber noch am Leben. Er atmete völlig normal.« Sie seufzte, und ihre Kiefermuskulatur wurde hart.
    »Also nahm ich die Hellebarde und brachte es zu Ende. Mir war absolut klar, daß ich nie wieder eine bessere Gelegenheit bekommen würde. Aber Sie irren, wenn Sie glauben, ich hätte es geplant. Das habe ich nicht weder den Zeitpunkt noch die Art und Weise.«
    Er glaubte ihr. Zweifelsohne sprach sie die Wahrheit.
    »Aber warum?« fragte er wieder. »Jedenfalls nicht wegen Louisa Furnival oder irgendeiner anderen Frau, stimmt’s?«
    Sie stand auf, kehrte ihm den Rücken zu und starrte zu dem winzigen Oberlicht hinauf, unerreichbar hoch und gegen den Himmel verbarrikadiert.
    »Das tut nichts zur Sache.«
    »Waren Sie schon mal dabei, wenn jemand gehängt worden ist, Mrs. Carlyon?« Das war brutal, aber wenn er ihr mit Vernunft nicht beikam, mußte er sich wohl oder übel der Furcht bedienen. Er verabscheute es. Er sah, wie ihr Körper sich versteifte, ihre Hände sich zu Fäusten ballten. Hatte er so etwas schon öfter getan? Es tauchten keine Erinnerungen auf. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Alexandra, um die Gegenwart, um den Tod von Thaddeus Carlyon. »Es ist grauenhaft. Die Hingerichteten sind nicht immer sofort tot. Man wird aus der Zelle geholt und in den Hof gebracht, wo der Galgenbaum steht…« Er schluckte schwer. Nichts stieß ihn so ab wie Hinrichtungen, weil sie vom Gesetz sanktioniert wurden. Man erwog, führte aus, ergötzte sich daran und fühlte sich im Recht. Und dann rottete man sich zu Grüppchen zusammen, beglückwünschte sich zur Vollendung und behauptete, man habe das Banner der Zivilisation hochgehalten.
    Starr und verkrampft, ausgemergelt und dünn, stand sie reglos da.
    »Dann legen sie einem den Strick um den Hals. Vorher bekommt man noch eine Kapuze übergestülpt, damit man es nicht mitansehen muß – sagen sie zumindest. Ich glaube allerdings, sie tun es eher, damit sie ihr Opfer nicht ansehen müssen. Wenn sie ihm ins Gesicht, in die Augen sehen müßten, könnten sie es vielleicht nicht tun.«
    »Schluß damit!« stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich weiß, daß man mich hängen wird. Müssen Sie mir jeden einzelnen Schritt bis zum Galgen schildern, damit ich es in Gedanken auch oft genug durchleben kann?«
    Er verspürte das dringende Bedürfnis, sie zu schütteln, sie an den Armen zu packen, sie zu zwingen, sich zu ihm umzudrehen, sich ihm zu stellen, ihn anzuschauen. Doch das wäre ein tätlicher Angriff, stupide und sinnlos, und würde vielleicht die letzte Tür zuschlagen, die ihm zu ihrer Rettung noch offenstand.
    »Haben Sie schon einmal versucht, ihn zu erstechen?« fragte er unvermittelt.
    Sie sah ihn entgeistert an. »Nein! Wie kommen Sie denn auf die Idee?«
    »Durch die Schnittwunde an seinem Oberschenkel.«
    »Ach, das. Nein – das war er selbst, als er sich wieder einmal vor Valentine Furnival großgetan hat.«
    »Ich verstehe.« Sie schwieg.
    »Werden Sie erpreßt?« bohrte er weiter. »Übt irgend jemand Druck auf sie aus?«
    »Nein.«
    »Sagen Sie’s mir! Vielleicht können wir dem ein Ende machen. Lassen Sie’s mich wenigstens versuchen.«
    »Nein, ich werde nicht erpreßt. Was könnte man mir schon Schlimmeres antun als das, was das Gesetz mit mir vorhat?«
    »Nicht Ihnen, aber jemandem, den sie lieben? Sabella zum Beispiel?«
    »Nein.« Ihre Stimme hob sich kaum merklich. Hätte sie die Kraft noch besessen, wäre es vermutlich ein bitteres Lachen geworden.
    Er glaubte ihr nicht. War das des Rätsels Lösung? War sie bereit zu sterben, um Sabella vor etwas zu schützen, an das sie bisher noch nicht gedacht hatten?
    Er sah ihren steifen Rücken und wußte, daß sie nicht reden würde. Dann mußte er es eben anders herausbekommen – wenn möglich. Bis zum Prozeß blieben ihm noch zwölf Tage.
    »So schnell gebe ich nicht auf«, sagte er sanft. »Sie werden nicht hängen, wenn ich es verhindern kann – ob Sie das nun wollen oder nicht. Auf Wiedersehen, Mrs. Carlyon.«
    »Leben Sie wohl, Mr. Monk.«
    Am selben Abend lud er Evan wieder zum Essen ein und erzählte ihm von seinem mißglückten Abstecher nach Suffolk. Evan hatte noch einen Fall entdeckt, dessen Hauptverdächtige die Frau sein konnte, die Monk so verzweifelt zu retten versucht hatte, und händigte ihm die entsprechenden Notizen aus. Doch diesmal war Monk mit seinen Gedanken noch bei Alexandra und dem

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