Eine Spur von Verrat
Mitleid.
»Sie?« fragte der unbekümmert.
»Die Frau.« Monk heftete seinen Blick auf das weiße Tischtuch. »Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf, überschattet alles andere, was ich gerade denke. Ich muß diesen Teil meines Lebens zurückholen. Ich muß wissen, welcher Fall das war.«
»Klar.« Falls Evan so etwas wie Neugier oder Mitleid empfand, ließ er es sich jedenfalls in keiner Weise anmerken, wofür Monk ihm zutiefst dankbar war.
Das Essen kam. Evan machte sich mit Riesenappetit über seinen Teller her, Monk stocherte eher uninteressiert darauf herum.
»In Ordnung«, meinte Evan nach einer Weile, als sein erster Hunger gestillt war. »Was soll ich dabei tun?«
Darüber hatte Monk bereits ausführlich nachgedacht. Er wollte nicht mehr von Evan verlangen als unbedingt nötig, und in Schwierigkeiten durfte er seinetwegen erst recht nicht geraten.
»Die Akten meiner früheren Fälle durchgehen und prüfen, welche in Frage kommen. Nachdem Sie die Informationen dann an mich weitergegeben haben, werde ich meine Schritte zurückverfolgen. Finden Sie heraus, welche Zeugen es noch geben könnte, und ich finde diese Frau.«
Evan schob sich ein Stück Fleisch in den Mund und kaute nachdenklich darauf herum. Er brauchte Monk weder daraufhinzuweisen, daß er dazu nicht befugt war, noch was Runcorn tun würde, wenn er dahinterkäme. Genausowenig erwähnte er, daß er seine Kollegen bis zu einem gewissen Grad hinters Licht führen mußte, um an die Akten heranzukommen. Das war ihnen beiden vollkommen klar. Was Monk da von ihm verlangte, war nicht gerade ein kleiner Gefallen. Dies offen auszusprechen wäre allerdings taktlos gewesen, und Evan war kein ungehobelter Mensch. Dennoch zupfte ein winziges Lächeln an seinem empfindsamen Mund, und Monk nahm es verständnisvoll zur Kenntnisse. Sein Unmut verflog, kaum daß er sich geregt hatte. Ihm das übelzunehmen wäre ausgesprochen unfair.
Evan schluckte.
»Was wissen Sie über sie?« erkundigte er sich, während er nach seinem Glas Apfelwein griff.
»Sie war jung«, begann Monk, registrierte die aufkommende Erheiterung in Evans Miene und fuhr fort, als hätte er nichts dergleichen bemerkt: »Blonde Haare, braune Augen. Sie wurde des Mordes an ihrem Mann beschuldigt, und ich habe den Fall untersucht. Das ist alles. Abgesehen davon, daß ich mich recht lange damit beschäftigt haben muß, weil ich sie ziemlich gut kannte – und daß mir etwas an ihr lag.«
Evans Belustigung war plötzlich wie weggefegt und wurde durch eine ganze Bandbreite von Gesichtsausdrücken ersetzt, die er, wie Monk sehr genau wußte, immer dann an den Tag legte, wenn er versuchte, seine Anteilnahme zu verbergen. Es war komisch, einfühlsam und bewundernswert. Und jeden ändern hätte Monk dafür gehaßt.
»Ich werde sämtliche Fälle aufstöbern, die diese Kriterien erfüllen«, versprach Evan. »Die Akten kann ich Ihnen nicht mitbringen, aber ich werd mir die wichtigsten Fakten aufschreiben und Ihnen den Rest in groben Zügen erzählen.«
»Wann?«
»Montag abend. Das ist die erste Gelegenheit. Um wieviel Uhr, kann ich noch nicht sagen. Das Steak hier ist übrigens ganz phantastisch.« Er grinste. »Am besten, Sie schleppen mich gleich noch mal zum Essen her, und dann sag ich Ihnen alles, was ich weiß.«
»Richtig – ich stehe in Ihrer Schuld«, gab Monk mit einem Hauch von Sarkasmus zurück, meinte es aber viel ernster, als er so leicht hätte zugeben können.
»Das ist der erste«, verkündete Evan am folgenden Montag, während er Monk ein zusammengefaltetes Blatt Papier über den Tisch entgegenschob. Sie saßen von munterem Getöse umgeben in dein Steakhaus in der Goodge Street. »Margery Worth. Wurde beschuldigt, ihren Mann vergiftet zu haben, weil sie mit einem Jüngeren durchbrennen wollte.« Er verzog das Gesicht.
»Über den Prozeßausgang bin ich leider nicht im Bilde. Aus unseren Aufzeichnungen geht bloß hervor, daß das von Ihnen gesammelte Beweismaterial ziemlich gut, aber nicht überzeugend war. Tut mir leid.«
»Der erste, haben Sie gesagt.« Monk steckte das Blatt ein.
»Gibt es noch mehr?«
»Zwei noch. Aber ich konnte erst einen abschreiben, und das auch nur in Stichworten. Phyllis Dexter. Sie wurde beschuldigt, ihren Mann mit einem Tranchiermesser ermordet zu haben. Sie behauptete, es wäre Notwehr gewesen. Aus Ihren Notizen geht allerdings weder hervor, ob das stimmt, noch was Sie davon gehalten haben. Ihre Gefühle sind deutlich genug; Sie standen voll auf
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