Eine Stadt names Cinnabar

großen Kopf. Sein Gesicht saß zu straff über dem darunterliegenden Knochenbau. Nase und Jochbeine sprangen wie Messerklingen hervor.
    Er trug einen schweißfleckigen, abgewetzten Talar. Die Füße steckten in Ledersandalen. Er sah ernst und nüchtern aus; er trug weder Edelsteine noch anderen Schmuck. Der Staub der Straßen lag wie Patina auf seinen Händen und Füßen. Seine Augen waren so dunkel wie Obsidianbrocken, ihnen entging nichts.
    „Mir scheint, ich kenne Sie nicht“, sagte Obregon.
    „Cafter. Wylie Cafter“, antwortete der Fremde.
    „Ihr Name ist mir nicht geläufig.“
    „Ich komme von Leah Sand.“
    „Wo ist Leah?“ fragte Obregon.
    „Absolut unabkömmlich“, erwiderte Cafter. „Sie hat mich gebeten, statt ihrer an der Expedition teilzunehmen. Wenn Sie nichts dagegen haben, heißt das.“
    „Warum hat sie mir das nicht selbst mitgeteilt?“
    „Sie hat ausreichende Gründe dafür, doch sie geniert sich, sie vorzubringen.“
    „Warum?“ fragte Tourmaline.
    Der Mann lächelte säuerlich. „Als Entschuldigungsgrund für die Nichtteilnahme an einer Expedition zur Apokalypse muß jede andere Tätigkeit ausgesprochen schwächlich wirken, nicht wahr?“
    „Ich vertraue Leah“, entgegnete Tourmaline; „wenn sie sagt, sie kann nicht …“
    „Ich weiß immer noch nicht, wer Sie sind“, fuhr Obregon dazwischen.
    „Ich spreche nicht gern von mir. Können Sie meinen Wunsch nach Privatleben nicht akzeptieren?“
    Doch Obregon ließ nicht locker. „Das ist hier kein Sonntagsausflug. Sie sind eine unbekannte Größe …“
    „Ich gehe mit Ihnen“, sagte der Fremde abschließend.
    Sie frühstückten Tee, Keks und frisches Obst. Blau-Jade trank außerdem noch ein Schälchen Sahne. Die Stimmung beim Essen war bedrückt; das merkte man an der Unterhaltung, angefangen bei Tourmaline, die wortreich das Wachstum in ihrem Obstgarten pries, bis zu Wylie Cafter, der überhaupt nichts sagte.
    Schließlich stellte Obregon seine Tasse lauwarmen Tee entschlossen hin und lehnte ab, als Tourmaline heißen nachgießen wollte. „Es ist Zeit“, sagte er. „Torre, was siehst du?“
    Die Rothaarige warf den Kopf hoch und sah Obregon starr in die Augen. „Zerstörung.“
    „Was? Die Stadt?“
    Langsam schüttelte sie den Kopf. „Unspezifisch. Eben … Zerstörung.“
    „Kein vielversprechender Anfang“, sagte Blau-Jade. „Und dabei sind wir noch nicht einmal auf dem Weg.“
    „Spielt keine Rolle“, erwiderte Obregon, „sie sieht immer nur Zerstörung.“ Mit einem Seufzer stand er auf. „Gehen wir?“
    Endlich sprach Cafter. „Sie wissen nicht, was Sie im STADT ZENTRUM tatsächlich finden werden, nicht wahr?“
    „Ich weiß nicht einmal, ob wir überhaupt etwas finden werden, und noch weniger, ob ich diese kleine Freundesschar brauchen werde.“
    „Vom Zentrum her fliegt alles auseinander“, sagte Torre unvermittelt.
    „Eben“, erwiderte Obregon, „es fliegt auseinander. Deshalb wollen wir ja gerade zum Zentrum.“
    „Waren Sie schon einmal da?“ fragte Cafter.
    „Ich bin mehrmals nahe am STADT ZENTRUM gewesen, aber niemals am eigentlichen Wirbel des Mittelpunkts.“
    „Warum nicht?“
    „Es war irgend etwas sehr Ähnliches wie Angst – sagen wir Ehrfurcht.“
    Blau-Jade trottete im Speiseraum auf und ab. „Ich kann es kaum erwarten, daß wir aufbrechen.“
    „Also dann los!“ entschied Obregon, schulterte einen Metallstab und ging zur Tür.
    „Keine Marschverpflegung?“ fragte Cafter. „Keine Gerätschaften? Was für eine komische Expedition ist denn das?“
    „Wir gelangen über eine Serie von Rollbändern hin; das dauert nicht lange. Wenn wir Glück haben, sind wir zum Abendessen zurück und haben alles erforscht.“
    „Müssen wir die Rollbänder nehmen?“ fragte Blau-Jade. „Beim Fahren rumpelt es mir immer so im Bauch.“
    Torre wies durch das transparente Dach auf den vertäuten blauen, tropfenförmigen Ballon. „Wie wäre es mit Tourmalines Luftboot?“
    „Es trägt nur drei Personen, auf keinen Fall fünf“, wandte Tourmaline ein.
    „Es können natürlich zwei von uns freiwillig hierbleiben“, sagte Obregon. Niemand meldete sich. „Also dann werden wir die Rollbahn nehmen müssen, ob unbequem oder nicht“, entschied er.
    Die nächste klein-Station war im Stamm einer riesigen alten Eiche des Waldes, in dem Tourmalines Baumhaus stand. Ein leiser Glockenton erklang, als Tourmaline an einen Knorren in Augenhöhe tippte, die Rinde des Baumes faltete sich und glitt zur