Eine stuermische Braut
deren Väter bei der Arbeit gestorben sind. Sie haben alle für die Familie gearbeitet. Linnet, also Miss Trevission, beharrt darauf, diese Kinder alle aufzunehmen und sie auf Mon Cœur zu erziehen.«
Ehrlich überrascht zog Logan die Brauen hoch.
»Ein lobenswertes Unterfangen.« Als sie aus der Baumgruppe auftauchten, warf er einen Blick auf das Haus, ein herrschaftliches Anwesen, solide gebaut und gut erhalten. »Besonders ohne Ehemann.«
»Allerdings.« Nur ein einziges Wort, aber scharf ausgesprochen. Eine Sekunde später bemühte Montrose sich, die Schärfe abzumildern. »Wir helfen, wo wir können. In solch einer kleinen Gemeinde müssten die Kinder sonst fortziehen, wahrscheinlich sogar Guernsey verlassen.«
Logan nickte lediglich. Seine dringlichste Frage war beantwortet, als er neben Montrose den Gartenweg hinaufschritt. Und sich weiterhin über das Rätsel den Kopf zerbrach, welches Linnet ihm aufgab. Miss Trevission. Es lag also an ihr, dass ihr Haushalt so seltsam war; alles drehte sich um sie, war in ihr verankert. Und wurde wahrscheinlich, so vermutete er langsam, auch von ihr regiert.
Nach allem, was er bisher gesehen hatte, war sie eine höchst begehrenswerte, offenkundig einigermaßen wohlhabende und außergewöhnlich attraktive sowie wohlerzogene Frau Mitte zwanzig - und trotzdem unverheiratet.
Mehr noch: Montrose war ebenfalls ein recht attraktiver Gentleman und, soweit Logan es beurteilen konnte, ungefähr im gleichen Alter wie die zauberhafte Miss Trevission. Ein guter Pfarrer musste sich doch einfach Hoffnungen in dieser Richtung machen. Die Bevölkerung von Guernsey war nicht besonders groß, am allerwenigsten in diesem abgeschiedenen Eckchen, sodass es nur wenige Frauen im heiratsfähigen Alter gab. Obwohl er in Montrose ein ähnliches Ausmaß an männlichem Beschützerinstinkt entdeckt hatte wie bei den anderen Männern auch - die alt genug waren, ihn als potenzielle Bedrohung der Tugend von Miss Trevission zu betrachten -, hatten weder Montrose noch die anderen den Eindruck erweckt, dass sie die Absicht hegten, die Sache mit Miss Trevission oder ihm zu vertiefen.
Was aus seiner Sicht recht merkwürdig war. Aber er mochte sich auch irren. Männer wie Montrose und andere äußerten sich üblicherweise lautstark dazu wen die Frauen, die ihnen etwas bedeuteten, unter ihrem Dach beherbergen durften und wen nicht. Äußerten sich herausfordernder. Ja, in der Tat, er wäre nicht verwundert gewesen, wenn ihm eine untergründige Warnung zuteil geworden wäre. Oder auch eine deutliche. Aber obwohl man ihn durchdringend gemustert hatte, hatte niemand ihn direkt gewarnt - noch nicht einmal Montrose.
Es sprach Bände, dass weder Edgar noch die anderen Männer im Herrenhaus schliefen. Im Moment war er, ein vollkommen Fremder, nachts der einzige erwachsene männliche Bewohner des Hauses - und er hatte Miss Trevissions Bett in Beschlag genommen.
Während dieser Punkt allgemein bekannt zu sein schien -offenbar hatten Edgar und John sogar geholfen, ihn hinaufzuschaffen -, bezweifelte Logan erheblich, dass die damit verbundene Tatsache - dass Miss Trevission das Bett mit ihm teilte - ebenso breit bekannt war.
Als sie sich der Hintertür näherten, warf er einen Blick auf Montrose und fragte sich, was der Pfarrer wohl sagen würde, wenn er Bescheid wüsste.
Das wiederum erinnerte ihn an ...
Mit einer Geste schickte er Montrose zuerst ins Haus und folgte ihm dann in die Küche, durch das Esszimmer und ins Wohnzimmer, wo Mrs. Barclay sich aufhielt, die den Pfarrer warmherzig willkommen hieß. Sie setzten sich und plauderten über die Gottesdienste der Gemeinde bis Weihnachten. Denn die Kinder, die sich zurzeit mit Miss Buttons im Schulzimmer aufhielten, waren ein wichtiger Teil des Chores, wie Logan vermutete.
Still saß Logan in einem Armsessel und ließ die Unterhaltung an sich vorbeiziehen. Nichts weckte Erinnerungen, nichts schien sich überhaupt irgendwie mit ihm zu verbinden. Er vermutete, dass er kein Kirchgänger war. Im Moment beschäftigte er sich ohnehin mit anderen Dingen und war daher zufrieden, dass der Pfarrer abgelenkt war, damit er sich mit seinen Erinnerungen abkämpfen konnte.
Sein Problem lag darin, dass er nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob es sich bei der Erinnerung an die vergangene Nacht um einen Traum handelte oder nicht. Als er morgens erwacht war, hatte er angenommen, dass es ein erstaunlicher, mit üppigen Details angereicherter und hochgradig erotischer Traum gewesen
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