Eine Stuermische Nacht
Calais war. Sobald wir im Hafen eingelaufen waren, habe ich angefangen, Fragen zu stellen, aber zunächst ohne Erfolg. Zwei Tage später, gerade als wir die Segel hissen wollten, hat mich die Nachricht von … einer Freundin erreicht, dass sie einen Amerikaner habe, der der Kerl sein könnte, den ich suchte.« Jeb zögerte, dann sprach er weiter:
»Er war in einem … äh, Bordell, und Marie hatte Angst, er läge im Sterben. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, war er nicht tot, aber nah daran. Uns ist nichts anderes übrig geblieben, als zu warten und zu sehen, ob er überlebte.« Er grinste Luc zu.
»Der Kerl hat beschlossen zu leben, sodass wir ihn mitgenommen haben.«
Barnaby schüttelte den Kopf, und trotz seiner Sorge wegen Lucs Zustand bemerkte er halblaut:
»Ein Bordell? Warum überrascht mich das nur nicht wirklich?«
Luc lächelte, ein Schatten seines sonstigen spöttischen Grinsens, und sagte:
»Du weißt doch, Frauen lieben mich.«
»Aber was ist geschehen?«, verlangte Barnaby zu erfahren.
»Wie bist du halb tot in einem Freudenhaus in Calais gelandet?«
»Das war nicht einfach«, antwortete Luc. Seine azurblauen Augen richteten sich auf Barnabys bekümmertes Gesicht.
»Ich hätte auf dich und Lamb hören sollen«, räumte er ein. »Es war Narrheit, was ich mir da vorgenommen hatte, und praktisch von vornherein zum Scheitern verurteilt.« Er fuhr sich mit einer Hand müde übers Gesicht.
»Beinahe hätte ich mein Leben verloren, und alles, was ich erfahren habe, ist, dass alle aus Mamans Familie tot sind. Dieser Tage in Frankreich zu sein ist – besonders für einen Ausländer – äußerst ungesund, das lass dir versichern. Seit letztem Sommer haben Danton und Marat die Herrschaft über die Pariser Kommune; sie haben die Polizeigewalt inne, aber sie nutzen sie völlig willkürlich. Im November war ich in Paris, und – nachdem ich mich schließlich damit abgefunden hatte, dass niemand aus der Familie überlebt hat, habe ich gerade Vorbereitungen für meine Abreise getroffen, als jemand Bericht erstattet hat, dass ich mich gezielt nach der Familie Gagnier erkundigt hatte.« Ein schwaches Lächeln glitt über seine Züge.
»Die Polizei ist gekommen, und ich fürchte, ich war nicht höflich – und so bin ich im Gefängnis gelandet.«
Mrs Spalding unterbrach den Bericht, indem sie einen Becher mit Suppe vor ihn stellte, in der Fleischstückchen und Möhrenscheibchen schwammen, Pastinaken und Kohl. Dazu befahl sie:
»Essen Sie das! Nachher können Sie reden. Jetzt brauchen Sie erst einmal das hier.«
Sie schaute Jeb finster an und sagte:
»Und das Gleiche gilt für dich und Caleb. Es ist eine bitterkalte Nacht, und ihr verlasst meine Küche nicht, ohne etwas Warmes im Bauch zu haben.« Etwas höflicher fragte sie Emily:
»Möchten Sie oder Seine Lordschaft auch etwas? Ich habe eine Kanne Tee fertig, und gleich kann ich die Zimt-Rosinen-Kuchen aus dem Ofen holen. Es gibt natürlich auch noch genug von der Suppe, falls Sie mögen.«
Emily und Barnaby erklärten eingeschüchtert, dass sie sich über eine Tasse Tee und Kuchen freuen würden. Die anderen nahmen die Suppe und dazu Brot und Käse, die Alice und Mrs Spalding ihnen vorsetzten.
Während die anderen aßen, musterte Emily über den Rand ihrer Tasse hinweg Barnabys Halbbruder. Außer einem bestimmten Zug um den Mund konnte sie an ihm wenig Ähnlichkeit mit Barnaby entdecken – natürlich hatte er wie Lamb auch die strahlend blauen Augen und die vornehmen Gesichtszüge der Joslyns geerbt. Er würde leicht als Mathews Bruder durchgehen. Obwohl er groß war, und selbst wenn er wieder zugenommen hatte, würde er noch schlank sein wie ein Degen im Vergleich zu Barnaby, dessen Körperbau mehr an ein Breitschwert erinnerte.
Als spürte er ihren Blick, schaute Luc auf und erwiderte ihre Musterung. Sie wurde rot, als er bewundernd lächelte, und ein unartiges Funkeln trat in seine Augen, als sie von ihrem Gesicht zu ihrem Busen wanderten.
Barnaby sah Emilys Erröten, erriet den Grund und seufzte. Luc mochte Frauen fast so sehr wie sie ihn, und auch wenn er erst kürzlich dem Tode nur um Haaresbreite entronnen war, konnte sein Halbbruder nicht anders, als mit der nächsten hübschen Frau anzubandeln.
Er sah Lucien an und sagte leise:
»Lass sie in Ruhe, Luc. Ich heirate sie Dienstag.«
Erstaunt blickte Luc von Barnaby zu Emily. Ein erfreutes Lächeln trat auf sein Gesicht.
» Mon Dieu! Das sind ja hervorragende Neuigkeiten. Es ist
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