Eine Stuermische Nacht
Herrenhauses bekommen, aber als er die prächtige hohe Eingangshalle mit der luxuriösen Einrichtung betrat, wurden seine Augen groß.
» Mon Dieu! Ich beginne zu begreifen, warum unsere Cousins dir nach dem Leben trachten sollten.«
Der hochaufgeschossene junge Lakai William Weldon empfing sie, und da er nicht so gut trainiert war wie der Butler, konnte William seine Verwunderung nicht verbergen, dass Seine Lordschaft mit einem zerlumpten Fischer heimkehrte, dessen Züge die typischen Joslyn-Merkmale aufwiesen. Barnaby grinste; er mochte die ehrliche Reaktion lieber als Peckhams ausdruckslose Züge.
Als er seine Räume erreichte, führte Barnaby Lucien in den elegant eingerichteten Salon, der an sein Schlafzimmer grenzte, und läutete nach Lamb. Er bot Lucien etwas von den Getränken in den verschiedenen Kristallkaraffen an, die das Mahagoni-Sideboard auf der anderen Seite des Raumes säumten. Lucien lehnte ab, ließ sich aber dankbar auf ein Sofa sinken.
»Nichts für mich, danke. Ich brauche einen klaren Kopf«, erklärte Lucien, »um die heftige Schelte von Lamb ertragen zu können.«
Lamb kam einen Moment später durch das Schlafzimmer herein. Zunächst bemerkte er Lucien auf dem Sofa nicht, lächelte und sagte:
»Ich stelle fest, deine Amazone hat dich nicht lange aufgehalten.«
»Was vermutlich nur gut so war«, erwiderte Barnaby spöttisch, der unwillkürlich an die kurzen Momente der Leidenschaft in ihren Armen denken musste und wie knapp davor er gestanden hatte, Emily in dieser Nacht zu verführen. Er winkte in Luciens Richtung und fügte hinzu:
»Ich habe einen Gast mitgebracht – du wirst für ihn passende Räumlichkeiten finden müssen.«
Lamb blickte zu dem Bündel aus Haut und Knochen auf dem Sofa und erstarrte. Eine Sekunde konnte Barnaby die Liebe und Erleichterung in seiner Miene sehen, ehe er sich wieder unter Kontrolle und seine Maske aufgesetzt hatte. Ohne ein Gefühl zu verraten, starrte Lamb Lucien an und sagte ruhig:
»Ich habe dich schon in besserem Zustand gesehen.«
»Allerdings. Ich gestehe, es hat Zeiten gegeben, da habe ich mich auch besser gefühlt«, erwiderte Lucien ebenso ruhig.
Barnaby hatte nie die Beziehung zwischen den beiden begriffen. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie einander sehr gerne mochten, aber zu oft standen sie sich gewissermaßen mit gezückten Klingen gegenüber. Er konnte nicht entscheiden, ob es daran lag, dass sie einander zu ähnlich waren oder weil sie miteinander im Wettstreit standen. Sein Mund zuckte. Und er war meist in der Mitte gefangen.
Ohne die beiden weiter zu beachten, goss er sich Weißwein in ein Glas. Er nahm einen Schluck von der blassen Flüssigkeit und merkte, dass es ihm zufiel, die Unterhaltung in Gang zu halten. Also berichtete er in kurzen Zügen, was geschehen war bis zu Luciens Ankunft hier.
Als Barnaby fertig war, zog Lamb eine Braue hoch und fragte, so, wie Barnaby vor ihm:
»Ein Freudenhaus? Warum überrascht mich das nicht?«
Anders als bei Barnaby vorhin, der dieselbe Feststellung getroffen hatte, reagierte Luc gereizt und erwiderte knapp:
»Du kennst mich doch – in einem Sturm tut es jeder Hafen.«
Barnaby verhinderte die scharfe Entgegnung, die Lamb, wie er spürte, schon auf den Lippen hatte, indem er hastig einwarf:
»Worauf es ankommt, ist, dass er zu Hause ist und in Sicherheit. Er ist noch nicht ganz wiederhergestellt, daher gehört er jetzt ins Bett.«
Lamb betrachtete Luciens Gesicht und widersprach nicht, der fahle Ton und das fiebrige Glänzen seiner Augen gefielen ihm so gar nicht. Auf seinem Weg aus dem Zimmer sagte er über seine Schulter:
»Ich werde mich unverzüglich darum kümmern.«
Lamb hielt Wort, und binnen dreißig Minuten war Lucien in einer Zimmerflucht ein paar Türen weiter auf demselben Flur wie Barnaby untergebracht. Lamb hatte ihm einen jungen Lakaien namens Bertram Hinton zugewiesen, der bis auf Weiteres als sein Kammerdiener fungieren würde.
Nachdem Lucien, der nun eines der Nachthemden trug, die Barnaby gewöhnlich verschmähte, im Bett lag, sah Lamb auf dem Weg zur Tür zu ihm, schüttelte den Kopf und sagte:
»Du hast teuflisches Glück, weißt du – wenn du nur Stunden später in Calais angekommen wärest …« Lambs Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken, wie dicht sie davor gestanden hatten, ihn zu verlieren. Er kämpfte die aufwallenden Gefühle nieder und bemerkte sanft:
»Willkommen daheim, Satansbraten – wir haben uns deinetwegen große Sorgen
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