Eine Stuermische Nacht
Wimpern waren, die selbst das kälteste Herz zum Schmelzen bringen konnten. Jedenfalls hatte keiner von ihnen Anne widerstehen können, wenn sie diese sprechenden Augen auf sie richtete und ganz schüchtern und vorsichtig eine Veränderung bei der Einrichtung eines Zimmers oder bei einem Ablauf vorschlug, der seit vierzig Jahren keine Änderung erfahren hatte.
Aber selbst wenn Anne nicht so entzückend gewesen wäre, Emily und Cornelia hätten sie trotzdem lieb gewonnen – und das aus einem einzigen Grund: Anne liebte ihren deutlich älteren Ehemann aufrichtig und von ganzem Herzen. Selbst wenn sie eine geldgierige Harpyie gewesen wäre und nicht die reine Freude, hätten Emily und Cornelia ihr das und mehr verziehen, weil sie ihren nicht immer rücksichtsvollen und wenig umsichtigen Ehemann anhimmelte.
Wenn sie diese beiden Frauen, die ihr so viel bedeuteten, ansah, wusste Emily, dass die Risiken, die sie heute Nacht eingegangen war, es wert waren. Und sie würde weitermachen, überlegte sie mit zusammengebissenen Zähnen, dieselben Risiken erneut eingehen, bis sie alle miteinander in Sicherheit waren und nicht länger unter Jefferys Fuchtel standen.
»Schmuggeln?«, antwortete Cornelia auf Annes Frage.
»Gütiger Himmel, nein!« Ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen, und ihre samtbraunen Augen glitzerten, als sie sagte:
»Mein Ehemann hatte entdeckt, dass ich mich dort mit Lord Joslyn traf, und Floras Urgroßmutter kam die Treppe hochgelaufen, um mich zu warnen.«
Da es allgemein bekannt war, dass Cornelias Ehe mit ihrem Gatten eine arrangierte Verbindung gewesen war, in der beide Partner einander verabscheuten, waren weder Anne noch Emily sonderlich schockiert von diesen Worten. Es war genau die Sorte Erklärung, die sie von ihr erwarteten.
Aber die Identität von Cornelias früherem Liebhaber entlockte Emily ein erstauntes Keuchen.
»Lord Joslyn?«, rief sie.
»Hm, ja. Der sechste Viscount …« Sie klopfte sich mit dem Finger auf die Lippe und dachte nach.
»Oder war es der siebte?« Sie zuckte die Achseln.
»Vermutlich beide … die Joslyns sind sehr gut aussehende Männer.«
Als sie Annes Miene sah, schnaubte Cornelia abfällig.
»Jetzt schau nicht so – es ist schließlich ewig her.«
»Äh, ich denke, ich habe heute den achten Viscount getroffen. Da war ein Mann … ein Amerikaner in der Krone . Wer sonst sollte es sein?«
Zwei Augenpaare richteten sich auf sie und musterten sie verwundert, worauf Emily errötete und rasch erklärte:
»Jeb hat ihn im Ärmelkanal entdeckt und ihn aus dem Wasser gefischt – es blieb ihm nichts anderes übrig, er konnte ihn ja nicht ertrinken lassen.« Knapp beschrieb sie, was sich zugetragen hatte.
»Oh je! Wie aufregend!«, rief Anne und nahm eine Bürste mit Silberbeschlag von der Frisierkommode neben sich. Sie ging zu Emily und begann, ihr die schweren Locken auszubürsten.
»Findest du ihn attraktiv?«
Emily verzog das Gesicht.
»Nein. Ich habe mir zu große Sorgen gemacht, wie viele Schwierigkeiten er uns machen wird, um ihm viel Aufmerksamkeit zu schenken.« Nachdenklich fügte sie hinzu:
»Er ist ein großer Mann mit dunkler Haut und schwarzen Haaren, aber ohne auffällige Ähnlichkeit zu den anderen Joslyns.« Sie ging in Gedanken zurück zu dem Mann im Bett und gestand:
»Ich nehme an, man könnte sagen, er sei gut aussehend, aber auf eine eher raue Art. Seine Züge sind härter, weniger fein gemeißelt als die von beispielsweise Mathew Joslyn.« Sie zuckte die Achseln.
»Natürlich war es auch nicht seine beste Stunde.«
»Hattest du Angst, als er dein Handgelenk umklammert hat?«, wollte Anne mit großen Augen wissen. »Ich hätte sicher Angst gehabt.«
Cornelia schnaubte.
»Du hast ja auch Angst vor deinem eigenen Schatten, Gänschen«, stellte sie nicht unfreundlich fest, »selbstverständlich hättest du Angst gehabt.«
Als Anne beinahe wehmütig nickte, schaute Cornelia zu Emily und sagte:
»Was ich gerne wüsste, ist, woher Jeffery wusste, dass du im Gasthof warst.«
Annes stetige Bürstenstriche waren so entspannend, dass Emily am liebsten geschnurrt hätte. Achselzuckend erklärte sie: »Das hat ihm offenbar jemand verraten.«
»Höchstwahrscheinlich dieser schurkische Verwalter Daggett, den er nach dem Tod deines Vaters angestellt hat«, erwiderte Cornelia erbost.
»Der Mann betrügt ihn nach Strich und Faden und raubt ihn bis aufs letzte Hemd aus, aber weil er ihm nach dem Mund redet und ihm schmeichelt, dass es
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