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Eine Stuermische Nacht

Eine Stuermische Nacht

Titel: Eine Stuermische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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löste sie das schwarze Seidenband, das den Zopf zusammenhielt, und schüttelte ihre Haare aus. Es hing in feuchten Zotteln um ihr Gesicht, weswegen sie sich vor das Feuer kniete und mit den Fingern die hellen Strähnen kämmte, während sie trockneten und sich ungezügelt zu locken begannen.
    Ein Klopfen an der Tür war zu hören, und sie versteifte sich, obwohl sie wusste, dass Jeffery einfach ins Zimmer geplatzt wäre.
    »Ja?«, rief sie.
    Die Tür öffnete sich sogleich, und, umrahmt von einer Unmenge dunkler Locken, steckte Anne den Kopf durch den Spalt; ihr hübsches kleines Gesicht voller Sorge. Als sie Emily vor dem Feuer sitzen sah, blickte sie über ihre Schulter hinter sich und sagte zu demjenigen, der dort stand:
    »Es ist alles in Ordnung, sie ist zu Hause.« Damit stieß sie die Tür weiter auf und lief ins Zimmer, dass der Saum ihres blassrosa Morgenrocks wehte, wobei sie rief:
    »Oh, dem Himmel sei Dank! Du bist zurück. Jeffery war auf der Suche nach dir, und er hatte furchtbare Laune.«
    Emily nickte.
    »Ich weiß – beinahe hätte er mich in der Krone ertappt. Es war schieres Glück, dass ich entkommen konnte.«
    Anne auf dem Fuße folgte in einem schweren rosa-braunen Morgenmantel Großtante Cornelia, deren geschnitzter Gehstock aus Walnussholz auf den Holzdielen bei jedem Schritt ein dumpfes Geräusch machte, während sie ins Zimmer humpelte.
    »Es war nicht nur Glück«, erklärte Cornelia mit ihrer tiefen Stimme scharf.
    »Wenn du dem strohköpfigen Deppen nicht überlegen bist, dann bist du nicht die Frau, zu der ich dich erzogen habe.«
    Trotz ihrer wenig beneidenswerten Lage musste Emily lächeln. Die Witwe des einzigen Bruders ihres Großvaters war die einzige Mutterfigur, die Emily kannte. Ihre eigene Mutter war bei ihrer Geburt gestorben; Cornelia hatte sich sogleich des weinenden Säuglings angenommen. Sie war es gewesen, die Mrs Gilbert als Amme für Emily angestellt und, sehr zur Dankbarkeit des Squire – allerdings mit leisen Gewissensbissen durchsetzt –, die Führung des Haushalts und Emilys Erziehung übernommen hatte, sodass er sich in Ruhe seinen Pferden und seinen Jagdhunden widmen konnte.
    Mit ihrer freimütigen und manchmal auch aufbrausenden Art war Cornelia sowohl die Plage als auch das Glück der Familie. Wie eine Amazone gebaut war ihre Haltung trotz ihres Alters von neunundachtzig so aufrecht wie die von Frauen, die nur halb so alt waren. Und selbst jetzt noch konnte der Blick ihrer Augen, die samtbraun waren wie Haselnüsse, erwachsene Männer in die Knie zwingen. Emily hatte ihre unverblümte mürrische Großtante immer geliebt, aber am meisten, wenn sie Jeffery mit Adleraugen musterte, sodass er blass wurde und anfing zu stammeln, bevor er überstürzt das Feld räumte.
    »Ich hatte Hilfe durch Flora«, gestand Emily mit einem Lächeln ein. Sie legte den Kopf schief und fragte:
    »Wusstet ihr, dass es auf der Rückseite des Schrankes im großen Gästezimmer eine Geheimtreppe gibt?«
    Cornelia, die sich gerade auf einen mit gelbem Chintz bezogenen Polstersessel setzte, lachte gackernd.
    »Himmel, ja! Die musste ich selbst einmal benutzen.«
    Anne schaute Cornelia voller Verwunderung an und wollte wissen:
    »Sag nicht, dass du auch einen Schmugglerring hattest wie Emily?«
    Die Heirat des alten Squire mit einem jungen Mädchen, kaum älter als seine Tochter, war das Gesprächsthema der Nachbarschaft gewesen, nachdem er die zwanzigjährige Anne Farnham vor zehn Jahren zur Frau genommen hatte. Emily war über die Ehe ihres Vaters entsetzt gewesen – Anne war nur zwei Jahre älter als sie. Bis ihr Vater ihr seine Braut vorstellte, hatte sie sie nie zuvor gesehen, und sie hatte auch keine Ahnung gehabt, dass er sich mit dem Gedanken an eine zweite Ehe trug. Cornelia hatte aus ihrer Verachtung für die junge Frau keinen Hehl gemacht; sie hatte mit ihrer weithin hörbaren Stimme Bemerkungen über alte Narren gemacht, die sich von einem hübschen Gesicht blenden ließen.
    Es war kein vielversprechender Empfang für eine so junge Braut gewesen, aber man hätte schon hartherziger sein müssen, als Emily oder Cornelia es waren, um nicht dem Zauber des zierlichen Geschöpfs mit den großen braunen Augen zu erliegen, das der Squire geheiratet hatte. Voller Lachen und Sonnenschein, immer ein Lächeln auf den Lippen, war Anne in ihr Leben gewirbelt und hatte sie alle bezaubert. Emily hatte schon vor Jahren entschieden, dass es Annes riesige braune Augen mit den dichten langen

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