Eine Stuermische Nacht
gleichgültiger Mann wie ihr Vater. Sie dachte an den gütigen Vikar Smythe in seinem geliebten Garten und hätte beinahe gelacht. Nein, Lord Joslyn war ganz und gar nicht wie Vikar Smythe. Sie erkannte in ihm die Arroganz von Mathew Joslyn, aber wenn er neben diesem Mann stand, würde Mathew in den Hintergrund treten. Nein, der Himmel mochte ihr beistehen, Lord Joslyn war anders als alle anderen Männer, die ihr bis jetzt begegnet waren.
»Miss Townsend, geht es Ihnen gut?«
Seine Worte rissen sie aus der Versunkenheit, und sie schaute auf und stellte fest, dass Anne und Lord Joslyn sie anstarrten.
»Emily? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, erkundigte Anne sich besorgt.
»Lord Joslyn hat dich zweimal gefragt, ob du dir auch sicher bist, dass du sonst nichts brauchst.«
Emily wurde rot.
»Das tut mir leid. Ich … ich … ich fürchte, ich bin ein wenig geistesabwesend gewesen. Heute ist doch eine Menge geschehen.« Mit einiger Anstrengung zwang sie sich dazu, ihn anzusehen, und ihr Herz rutschte ihr tiefer als bis zu den Kniekehlen, als sie den forschenden Ausdruck in seinen schwarzen Augen bemerkte. Sie senkte den Blick auf den Austerneintopf vor sich.
»Es geht mir bestens«, erklärte sie. Sie nahm ihren Löffel und sagte einfach, was ihr als Erstes in den Sinn kam:
»Sieht dieser Eintopf nicht köstlich aus? Ich habe immer eine Vorliebe für Mrs Easons Küche gehabt.«
Barnaby wirkte überrascht.
»Sie kennen meine Köchin Mrs Eason?«
»Oh ja«, erwiderte Anne, »Ihre Mrs Eason und unsere Köchin Mrs Spalding sind Schwestern, und unser Butler Walker ist der Onkel Ihrer Haushälterin Mrs Bartlett. Bissell, der früher hier Butler war, ist mit Mrs Bartletts ältester Schwester verheiratet.«
Er schüttelte verwundert den Kopf.
»Es ist mir schwer genug gefallen, mir allein die Namen von allen zu merken, aber bei den Verwandtschaftsverhältnissen gebe ich auf.«
»Es kann für Sie nicht leicht sein«, bemerkte Anne voller Mitgefühl, »unter Fremden zu sein und in einem anderen Land als dem, in dem Sie geboren wurden.«
»Nun, so anders ist es hier auch wieder nicht; und außerdem habe ich Lamb, meinen Mann für alles bei mir.« Er schenkte Anne ein Lächeln.
»Ich gewöhne mich langsam ein, und wenigstens ist die Sprache dieselbe.«
Interessiert schaute Emily ihn an und fragte:
»Denken Sie, es wird Ihnen gefallen, hier in England zu leben?«
Sein Blick schien sie zu liebkosen, während er leise antwortete:
»Nachdem ich die Bekanntschaft zwei so reizender Damen gemacht habe, stelle ich fest, dass es mir von Minute zu Minute besser gefällt.«
»Oh, wie hübsch Sie das sagen«, rief Anne und klatschte entzückt in die Hände.
»Ich kann es kaum erwarten, dass Sie Großtante Cornelia kennenlernen! Sie wird unerhört mit Ihnen flirten.«
»Großtante Cornelia …?«, wiederholte Barnaby mit hochgezogenen Brauen.
Trotz des Flatterns in ihrer Brust, das sein Blick ausgelöst hatte, konnte Emily nicht anders, als zu lächeln, wenn sie sich Cornelias Reaktion auf Lord Joslyn vorstellte.
»Sie werden schon nach kürzester Zeit nach ihrer Pfeife tanzen«, sagte Emily mit einem schelmischen Glitzern in den Augen.
»Das heißt, natürlich nur, wenn sie Sie nicht zum Dinner verspeist«, fügte Anne hinzu.
»Sie ist trotz oder wegen ihrer neunundachtzig Jahre eine durch und durch bemerkenswerte Frau. Sie wird Sie mögen, besonders, wenn Sie nicht gleich klein beigeben.«
Er bediente sich am Sideboard und nahm den Damen gegenüber Platz und bedeutete ihnen, mit dem Essen nicht auf ihn zu warten. Die Unterhaltung drehte sich um allgemeine Themen, aber Barnaby erfuhr im Verlauf dieser Mahlzeit eine Menge über die Gegend und ihre Bewohner. Vikar Smythe züchtete außergewöhnliche Rosen, verriet Anne ihm. Sir Michael, der Vater seines Hausverwalters, war ein ganz reizender alter Mann; Mrs Featherstone, die Witwe eines reichen Landbesitzers, war lieb, aber eine entsetzliche Klatschbase mit einem Korb voller Töchter, die sie unter die Haube bringen wollte. Und vor allem, warnte ihn Emily, durfte er niemals und unter keinen Umständen ein Pferd von Lord Broadfoot käuflich erwerben.
»Ich freue mich schon darauf, alle kennenzulernen«, schwindelte Barnaby, als sie ihr Mahl beendet hatten und bei der abschließenden Tasse Kaffee saßen. Er wirkte reumütig.
»Ich befürchte, es wird Monate dauern, ehe ich alle meine Nachbarn getroffen habe, und noch länger, ehe ich ihre Gesichter mit den richtigen
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