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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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spülte das Geschirr vom Abend. Luise hatte nach dem aufregenden Tag tief geschlafen, so traumlos und fest, daß sie keinerlei Bewegungen oder Geräusche wahrgenommen hatte, als Dahlmann aufstand, sich wusch und wegging.
    Sie sprang aus dem Bett und zog die Gardinen zur Seite. Draußen war ein trüber Tag, ein grauer Himmel, graue Häuser, graue Straßen, graue Menschen … ein Herbsttag, den man am besten verschlafen sollte, weil alles eine Farbe hat, deren dauernder Anblick zum immerwährenden Gähnen reizt.
    Eine halbe Stunde später saß sie am Tisch und trank Kaffee. Das Hausmädchen, das die Kanne hereinbrachte, trug ein leichtes, ausgeschnittenes Kleid und schien zu schwitzen. Luise betrachtete sie unter der dunklen Brille äußerst verwundert. Auch ihr war es aufgefallen, daß die Wärme im Zimmer in einem krassen Gegensatz zu der grauen Herbststimmung vor den Fenstern stand. Es war, als habe jemand die Heizung auf die höchste Stufe gedreht.
    »Ist etwas mit der Heizung los, Else?« fragte Luise und tastete nach den fertig geschmierten Brötchen. Das Hausmädchen sah sie an, als verstehe es die Frage nicht.
    »Mit der Heizung? Wieso?«
    »Es ist so heiß im Zimmer, Else.«
    »Ach so. Nein!« das Mädchen lächelte. Aber in diesem Lächeln lag alles Mitleid, das sie fühlte. Sie fühlt es ja nur, natürlich, dachte es. Sie kann ja nicht sehen, wie es draußen ist. Sie sieht weder Sonne noch Regen, Wind oder Nacht. Sie kann es nur ahnen.
    »Draußen ist ein verrückter Tag, gnädige Frau. Heißer als im Sommer, und das im Herbst! Im Radio haben sie heute morgen gesagt, daß man so was seit hundert Jahren noch nicht erlebt habe –«
    »Es … es ist draußen heiß …«, sagte Luise leise. Sie setzte die Tasse wieder zurück auf den Unterteller, ihre Hand begann zu zittern. »Und … und die Sonne scheint …«
    »Ja! Und wie! Grell sogar. Wenn das heute mittag kein Gewitter gibt …«
    »Und keine Wolken?«
    »Nein. Keine!«
    »Wo ist mein Mann?«
    »Der gnädige Herr ist schon früh weggegangen. In die Stadt, wie er sagte. Er ist zu Mittag wieder da. Ich sollte Sie nicht wecken, gnädige Frau, und …«
    »Es ist gut, Else. Es ist gut. Ich läute, wenn Sie abräumen können …«
    Luise wartete, bis das Mädchen das Zimmer verlassen hatte. Dann sprang sie auf und rannte an das große Blumenfenster. Es war ein Hinstürzen voller Verzweiflung.
    Was sie gesehen hatte, blieb … sie sah einen grauen Tag, eine graue Straße, graue Häuser, einen grauen, bleiernen Himmel, graue Menschen … Auch als sie die Brille abriß, blieb es grau … ein Tag zwischen den Zeiten, ein Übergang von Nacht zum Licht, aber noch mehr Dunkelheit als Helle … Die Menschen aber, die grauen, frierenden Menschen auf der grauen Straße vor den grauen Häusern hatten luftige Kleider an, die Männer liefen in offenen Hemden umher … sie sah, wie ein Mann stehenblieb, gegenüber der Apotheke, ein Taschentuch herauszog und sich seufzend über das Gesicht wischte, ein von der Hitze erschöpfter Mensch, grau in grau, ein schwitzendes Gespenst …
    Das Entsetzen in Luise war so groß, daß sie keinen Laut geben konnte … sie lehnte an der Wand, starrte in den grauen Tag und spürte jetzt wieder das Brennen und Jucken in den Augen, das sie schon gestern gereizt hatte, ohne es zu beachten. Aber so versteinert sie in diesen Minuten war, so stark war der Gedanke, der – in Grauen und Angst eingepackt – ihr ganzes Wesen überrannte: »Die Augen … sie werden wieder trüb … sie verlieren das Licht … Ich werde wieder blind … blind … blind …«
    Der Zustand völliger Erstarrung war nur kurz, aber für Luise war es, als läge sie stundenlang in einer Eiswanne. Sie hob langsam die Hand und deckte sie über beide Augen. Dann ließ sie sie wieder fallen und sah erneut aus dem Fenster. Das Bild blieb.
    Ein grauer Herbsttag.
    Es war, als zögen Zentnergewichte ihre Beine auf den Boden, als sie versuchte, vom Fenster wegzukommen. Mühsam schleppte sie sich zurück ins Schlafzimmer, legte sich aufs Bett, träufelte Antibiotikatropfen in die Augen und drückte dann die Lider fest zusammen. So lag sie eine Weile mit geschlossenen Augen, die Tropfen kühlten und brannten zugleich, und sie wagte nicht, die Lider wieder zu öffnen und vor den Fenstern den trüben Himmel zu sehen, der in Wahrheit fahlblau war und vor Hitze glühte.
    Ob es eine Stunde war, die sie so in stummer Angst auf dem Rücken lag, wußte sie nicht. Sie hörte das Hausmädchen

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