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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weggehen, einkaufen für das Mittagessen. Heute war Markttag, Else würde also länger bleiben, denn auf dem Marktplatz trafen sich die Mädchen und benutzten den Einkauf zum Austausch von Informationen und Erlebnissen vom vergangenen freien Sonntag. Dahlmann kam auch vor Mittag nicht zurück, wie er gesagt hatte. Es war jetzt auch unwichtig geworden, wo er hingegangen war und was er wieder vorbereitete. Das Grauen überdeckte alles, was bisher noch für Luise ein Inhalt ihres Lebens gewesen war, vor allem die Rache an ihrem Mann … das Grauen einer neuen Blindheit, von der es keine Rettung mehr geben würde, die endgültig war, bei der auch Professor Siri nicht mehr helfen konnte. Eine wirkliche, ewige Nacht –
    Luise sprang vom Bett, noch immer mit geschlossenen Augen, und tastete sich zu einem der Fenster. Sie schob die Gardine zurück, lehnte die Stirn an die warme Scheibe und preßte die Fäuste gegen das Herz.
    Sieh hin! Gab sie sich selbst ein Kommando. Mach die Augen auf! Sieh dir den sonnigen Tag an. Du siehst ihn ja … du siehst ihn … es war eben nur eine Schwäche der Augen … du wirst nicht wieder blind … es ist alles vorbei … Du siehst das Leuchten der Sonne, das Flimmern der Luft über dem Straßenasphalt … alles, alles siehst du …
    Sie riß die Augen auf und starrte hinaus.
    Ein Herbsttag. Grau in grau.
    Schnell schloß sie die Augen wieder und zuckte mit dem Kopf vom Fenster. Es hat keinen Sinn, vor der Wahrheit zu flüchten, sagte sie sich, aber die Panik, die in ihr aufkam, war stärker und verscheuchte alle Vernunft. Sie lief im Schlafzimmer auf und ab, die Augen bis zu einem Spalt geschlossen, mit ringenden Händen und vor Angst trommelndem Herzschlag.
    Was soll ich tun, dachte sie immer wieder. Mein Gott, hilf mir, hilf mir … Was soll ich tun?! Wenn ich jetzt wirklich blind werde, ist alles zu Ende. Ich könnte es nicht mehr überleben, ich hätte einfach nicht mehr die Stärke dazu.
    Sie ging hinüber ins Wohnzimmer und setzte sich ans Fenster. Immer wieder begann sie, ihre Augen zu testen, und immer wieder brach sie ab, wenn sie merkte, wie wenig von der Umwelt noch in ihr Sehbewußtsein kam.
    Die rote Blüte einer Kaktee war zwar dunkler als die Blätter, aber nicht mehr rot. Der schöne helle Isfahanteppich mit den blauen und rosa Blütenranken war ein großer graubrauner Fleck, auf dem die Blumen fahl und leblos lagen, als seien sie mumifiziert. Jetzt erst fiel Luise auf, daß sie schon vor drei Tagen verwundert durch ihre dunkle Brille geblickt hatte, als das Mädchen zum Abendessen Tatar angerichtet hatte und ihr das sonst frische, durchgedrehte, hellrote Fleisch merkwürdig alt und graulich vorkam, so, als habe es schon zwei Tage herumgelegen. Aber da sie ja nichts sehen durfte, aß sie davon und fand es trotzdem frisch und saftig, ganz anders, als es aussah. Damals hatte sie sich nichts dabei gedacht, es auf das Fleisch geschoben … jetzt wußte sie, daß schon vor zwei Tagen ihre Augen begonnen hatten, ganz langsam wieder den Schleier vor eine Welt zu ziehen, die sich in den letzten Monaten vor der sehenden Blinden als eine Zusammenballung von Gemeinheit und Intrige enthüllt hatte.
    Luises Erschrecken und Ratlosigkeit dauerten über eine Stunde. Sie hörte das Mädchen vom Markt zurückkommen, früher als erwartet. Es stellte in der Küche das Radio an und sang die Schlager mit. Auf dem Markt mußte eine sehr zufriedenstellende Unterhaltung stattgefunden haben.
    Es muß etwas geschehen, dachte Luise. Es muß sofort etwas geschehen. Aber wie? Ob Robert Sanden einen Weg weiß … er war jetzt der einzige, der helfen konnte, weil er der einzige war, der wußte, daß sie sehen konnte.
    Sie setzte die dunkle Brille wieder auf und schlich aus der Wohnung. Leise zog sie die Tür hinter sich zu … das Radio und Elses etwas quäkender Mitgesang überdeckten alle Geräusche. Dann rannte sie die Treppe hinunter, verließ das Haus durch den hinteren Privatlaboreingang und lief bis zum nächsten Taxenstand.
    »Zum Stadttheater«, sagte sie, als sie sich auf den Rücksitz warf. »Bitte schnell –«
    »Probe verpaßt, was?« Der Taxifahrer grinste. »Na, woll'n mal sehen, ob wir den zweiten Akt noch retten …«
    Es war kurz vor zehn Uhr morgens … Luise sah es auf der Uhr, die über dem Geschäft eines Optikers hing.
    Um zehn Uhr stand Ernst Dahlmann im Büro einer großen Fluggesellschaft an der Theke und verhandelte für eine Buchung nach Zürich. Alle Maschinen waren für eine

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