Eine Sünde zuviel
Testament nicht anfechten!«
»Das weiß ich. Aber die Blindheit meiner Frau macht sie doch weitgehend, wenn nicht überhaupt, geschäftsunfähig, nicht wahr?«
Nun war es heraus. Dahlmann atmete auf und sah Dr. Kutscher von der Seite fragend an. Der Anwalt zeigte keinerlei Regungen. Wer in solchen Fällen offensichtliche Teilnahme vorweist, verliert den Schein der völligen Objektivität. Aha, dachte Dr. Kutscher nur. So läuft das also. Du bist ein geriebener Bursche, mein Lieber. Aus der unheilbaren Krankheit deiner Frau willst du Kapital schlagen. Ein schönes Früchtchen bist du. Dazu bist du aber auch mein Klient, und meine Klienten haben immer recht, das ist nun mal so in unserem Beruf. Wir leben größtenteils davon, die Falschen zu verteidigen und schwarze Wäsche in Weiß umzufärben.
»Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Dr. Kutscher fast gleichgültig.
»Darum komme ich ja zu Ihnen, Doktor!«
»Wie ich richtig vermute, soll das aber alles geschehen, ohne daß Ihre Frau merkt, daß sie entmachtet wird.«
»Ja.«
»Sehen Sie, und da wird es utopisch. Man kann keinen in den Hintern treten, ohne daß er es merkt. Erklären wir Ihre Gattin aufgrund ihrer Blindheit, die zudem noch als endgültig bescheinigt werden muß, für nicht mehr geschäftsfähig, dann merkt sie, wie der Hase läuft. Noch schlimmer ist es, wenn Sie daran denken, sie entmündigen zu lassen … denn dann müßten wir ihr nachweisen, daß sie neben der Blindheit noch bösartig oder wahnsinnig oder trübsinnig oder verschwenderisch ist, alles Dinge, die ausschalten und einen Riesenskandal entfesseln. Was bleibt, ist eine gütige Einigung zwischen Eheleuten.«
»Das ist unmöglich. Alle Versuche in dieser Richtung schlugen bisher fehl. Sosehr meine Frau und ich miteinander verbunden sind und wir uns lieben … beim Letzten Willen ihres Vaters hört es auf. Ja, sie sagt sogar: ›Wir sollten ein Kind haben … dann würde ja alles ihm gehören, wie es Vater gewollt hat.‹«
»Na und? Warum beweisen Sie nicht väterliche Qualitäten?!«
»Ich bin der Ansicht, daß wir über dieses Alter hinaus sind, noch ein Kind großzuziehen.«
»Dummheit, mein Lieber. Ich habe einen Klienten, der ist mit 78 Jahren noch unehelicher Vater geworden! Machen Sie doch aus sich keinen biologischen Zwerg!«
»Es ist schwer, Ihnen ohne Ausfälle zuzuhören«, seufzte Dahlmann. »Denken Sie doch mal real: Welche Möglichkeiten schließen sich auf, durch die Blindheit meiner Frau die Geschäftsführung an mich zu übertragen?!«
»Eine Einsicht Ihrer Gattin, weiter nichts. Ich werde mit ihr sprechen, wenn sie aus Montreux zurückkommt. Ich werde auf sie einsprechen wie der Verführer auf eine Jungfrau. Vielleicht sieht sie es ein …«
»Und wenn nicht?«
»Dann heißt es weitermachen wie bisher … oder es kommt zu unschönen Szenen, an denen die eheliche Gemeinschaft scheitern kann.«
»Was halten Sie von einer Einweisung in ein Sanatorium?«
Dr. Kutscher zog die Augenbrauen hoch, die einzige Regung auf diesen Vorschlag. Du bist mir ja ein glatter Lump, dachte er. Ein aalglatter Scheißkerl, der über Leichen geht. Das hätte ich nicht von dir gedacht … aber so ist es: Hinter den schönen Fassaden stinkt es oft nach Kloake.
»Wenn Sie nachweisen', daß Ihre Gattin einen Nervenknack hat … daß sie, sagen wir, manisch-depressiv ist oder unter schizophrenen Komplexen leidet, unter Halluzinationen, unter Psychosen … aber das dürfte schwer sein, mein Bester. Soviel ich Ihre Gattin kenne, ist sie kerngesund … bis auf das verlorene Augenlicht.« Dr. Kutscher hob die Schultern. »Wie gesagt … ich komme auf mein erstes Wort zurück, das Nein lautete. Ich weiß Ihnen da keinen Rat zu geben. Der Vorteil ist, daß ich deshalb auch kein Honorar verlange –«
»Und wenn ich nachweisen kann, daß meine Frau psychisch nicht mehr gesund ist?« fragte Dahlmann heiser. Dr. Kutscher sah ihn mit großen Augen, ehrlich verblüfft an.
»Ja … dann – aber ich weiß nicht, wie Sie –«
»Warten Sie ab, Doktor.« Dahlmann legte die halbgerauchte Virginia in den großen Aschenbecher und erhob sich wie erlöst. »Machen Sie sich schon Gedanken darüber, was in einem solchen Falle zu tun ist. In zwei Monaten etwa kommt meine Frau zurück … ich nehme an, daß Ende des Jahres die ersten Anträge gestellt werden können –«
Dr. Kutscher verzichtete darauf, seinen Klienten Dahlmann bis an die Tür seines Büros zu bringen, wie er es sonst mit allen seinen
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