Eine Sünde zuviel
lange, bis du zusammenbrichst, bis du zerrieben wirst in den Mahlsteinen von verbotener Liebe und Angst, von der Sünde, die zuviel für dich ist, und dem Gewissen, dem du nicht entfliehen kannst, weil du kein schlechter, sondern nur ein haltloser Mensch bist. Ein höriger Mensch, hörig einem Mann, den ich einmal so liebte, wie du jetzt ihn liebst … und den ich jetzt hasse mit einem Haß, wie ihn nur eine Frau gebären kann. Glaube mir, Monika … es gibt auf der Welt kein stärkeres Element als den Haß einer verratenen Frau …
»Ich bin müde«, sagte Monika mit mühsam fester Stimme. »Ich habe heute viel gezeichnet. Entschuldigt mich …«
Sie sah noch einmal Luise starr an. Luise nickte ihr zu, freundlich, lächelnd, so wie man eine liebe Schwester zur Nachtruhe verabschiedet … so wie man Abschied nimmt von einem, den man sieht –
Wie flüchtend, verließ Monika das Zimmer. Ernst Dahlmann trank mit bösem Gesicht seinen Wein aus. Er hatte heute Nachtdienst und nahm sich vor, die ganze Nacht unten in den Apothekenräumen zu verbringen. Ein hysterisches Luder, diese Moni, dachte er wütend. Er räumte die Gläser weg und drehte das Fernsehen aus. Luise sah staunend in den stillen Raum.
»Was ist, Ernsti? Ich bin noch nicht müde. Warum machst du aus?«
»Ich habe Nachtdienst, Luiserl. Ich muß in die Apotheke.«
»Dann warte ich hier auf dich.«
»Es kann spät werden. Vielleicht die ganze Nacht. Geh zu Bett.«
»Noch eine Stunde. Ich stell' mir noch das Tonband an.«
»Gute Nacht.« Ernst Dahlmann ging hinaus. Zum erstenmal vergaß er die Floskel Luiserl, und er war so wütend, daß er die Tür sogar härter zuzog, als er wollte.
Luise stand auf und ging zum Sofa. Auf dem Kissen, neben dem Monika gesessen hatte, lag ihre kleine Krokotasche. Monika hatte sie bei ihrer Flucht aus dem Zimmer vergessen.
Mit einem harten Lächeln hob Luise die Tasche auf, wog sie in der flachen Hand und krallte dann die Finger um sie. Ein Ruck flog durch ihren Körper, sie warf den Kopf in den Nacken, etwas wie der Stolz eines Siegers strahlte von ihr aus … dann ging sie mit schnellen, festen Schritten aus dem Zimmer und stieg die Treppe empor zum Atelier Monikas.
*
Sie hatte sich noch nicht ausgezogen, sondern stand an dem großen Atelierfenster, hatte eine der verschiebbaren Scheiben zur Seite gedrückt und starrte in die Nacht.
Für Monika Horten war das Leben zu einem Rätsel geworden. Jede Stunde, die sie allein war, füllte sie aus mit dem Willen, wegzugehen, zu flüchten vor ihrer Verstrickung, sich irgendwo zu verkriechen, wo man vergessen konnte und weit, weit weg war von aller Schuld und aller Scham. Aber dann stand Ernst Dahlmann wieder vor ihr, sein Lächeln bezauberte, seine Hände streichelten sie, seine Umarmung war wie ein Hineinziehen in selige Geborgenheit … und wieder fand sie sich in diesem Rätsel, warum sie das alles tat, duldete und mitmachte, warum sie ihre Schwester betrog und ihren eigenen Willen verriet. Sie wußte darauf keine Antwort.
Ein Windzug, der ihre Haare flattern ließ, zwang sie, sich umzudrehen.
Die Tür zur Diele war aufgesprungen. Jemand stand in der Finsternis des Zimmers, vor dem dunkelroten Vorhang, der tagsüber die Bettcouch in der Ecke verdeckte.
»Ernst –«, fragte Monika leise und stützte sich gegen die Glaswand.
»Nein –«
»Luise!« Es war ein erstickter Schrei. »Wie … wie kommst du hier herauf?! Was willst du …«
Langsam trat Luise Dahlmann aus dem Schatten der Nische. Mit ruhigen, sicheren Schritten ging sie auf ihre erstarrte Schwester zu, hielt ihr die Tasche hin und ließ sie, als Monika nicht zugriff, auf den kleinen Tisch fallen, der neben der Staffelei stand und als Palettenablage diente.
»Deine Tasche, Moni –«, sagte Luise freundlich und nickte ihr zu. »Eine schöne Krokotasche übrigens … sie könnte mir auch gefallen.«
Sie sah ihre Schwester noch einmal an, dieses Mal stumm, mit zur Seite geneigtem Kopf, als betrachte sie ein merkwürdiges Bild, in das man einen Sinn hineinlegen muß. Dann wandte sie sich ab und ging hinaus … ohne Zögern, ohne Tasten, ja, sie machte sogar einen Bogen um einen Stapel Zeichenpapier, der auf dem Boden lag.
Mit entsetzensweiten Augen starrte ihr Monika nach. Erst als die Tür wieder zuklappte, löste sich die Lähmung von ihr. Sie stürzte vor, zur Tür, wollte sie aufreißen, wollte etwas schreien … Hilfe! Oder Ernst! Oder Luise! … Es war ihr, als verbrenne sie innerlich, aber dann
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