Eine Sünde zuviel
»Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin, wieder hier zu sein!«
»War es sehr anstrengend in Köln?«
»Hm. Ich muß dir etwas sagen, Luiserl.« Er kam mit den Gläsern zu ihr, setzte sich ihr gegenüber und stellte die Gläser auf den Tisch. »Ich muß dir etwas gestehen.«
»Du – mir?«
»Ja. Ich war gar nicht in Köln.«
Luises Erstaunen war echt. Weniger verblüffte sie, daß er nicht in Köln war, das wußte sie ja, als vielmehr die plötzliche Ehrlichkeit. Mißtrauisch schielte sie zu dem hohen Glas mit dem Aperitif und der darin aufgelösten Pille. Soll es eine Vergiftung sein? dachte sie. Erst ein Geständnis und dann das Gift …? Sie umklammerte die Sessellehne und legte den Kopf weit zurück, damit er trotz der dunklen Brillengläser nicht ihre Augen sehen konnte.
Jetzt werde ich es ihm sagen, dachte sie. Wenn ich dieses Glas trinken muß … wenn er mich vergiften will … Die Brille werde ich mir herunterreißen und ihn anschreien: Ich sehe dich! Ich sehe deine entsetzten Augen, deine zitternden Hände … Und dann? Was würde dann geschehen? Man mußte dann um Hilfe schreien, an das Fenster rennen, die Scheibe einstoßen, sich hinauslehnen auf die Straße und schreien … schreien … dann war es ihm unmöglich, sie zu erwürgen oder zu erschlagen.
Ernst Dahlmann legte seine Hände auf ihre Knie.
»Ich habe dich belogen, Luiserl. Bitte, verzeih. Ich habe es getan, weil ich ahnte, daß dich die Wahrheit kränken würde. Ich war bei Monika –«
Luises Kopf zuckte herab.
»Wo?« fragte sie heiser. Er sagt die Wahrheit, dachte sie und erstarrte innerlich vor Angst. Und wenn er alles gesagt hat, wird er mich töten.
Sie blickte zum Fenster hin. Fünf Schritte waren es, fünf lange Schritte … ob sie noch die Zeit hatte, diese Schritte zu tun?
»Bei Monika. Sie lebt bei Soltau, in der Heide. In einem alten, vergessenen Gasthaus. Sie lebt dort mit einem Mann zusammen –«
Luise atmete auf. Er lügt schon wieder, dachte sie, jetzt fast erfreut über diese Lüge. Solange er lügt, werde ich weiterleben … jetzt, in dieser Stunde …
Was aber hat er ins Glas gerührt?
»Monika? Mit einem Mann?« Sie lächelte ungläubig. »Das ist doch ausgeschlossen.«
»Das habe ich auch gedacht. Als ich Monikas Brief fand, konnte ich es nicht glauben. Darum habe ich dir nichts gesagt und den kleinen Betrug mit dem Apothekertag in Köln erfunden. Ich bin zu ihr gefahren … und ich fand sie mit diesem Mann zusammen. Mit einem Julius Salzer, einem Nichtskönner von Schriftsteller, der sich Jules Salaire nennt und Gedichte fabriziert. Aber es scheint die große Liebe zu sein. Alles Zureden half nichts. Sie bleibt bei ihm.«
»Wirklich?«
»Ja.« Dahlmann wischte sich über die Lippen, sie waren in der Erinnerung an die dramatischen Stunden spröde geworden. Wie ausgedörrt kam er sich vor. »Ich bin jetzt der Ansicht, daß wir sie gewähren lassen sollen. Sie ist alt genug. Sie will dir noch alles schreiben, das hat sie mir versprochen.«
Luise sah ihren Mann jetzt mit wirklichem Unglauben an.
»Das … das ist alles wahr, Ernst?«
»Ich weiß, wie schwer es ist, das von Monika zu glauben. Liebes, sei stark, reg dich nicht auf … es ist so. Künstler haben eben ihre eigene Moral –«
Das mußt du sagen, dachte Luise bitter. Gerade du, du Lump. Aber wenn es wahr ist, dann hat es dich sehr getroffen. Dann mußt du dir vorkommen wie ein Ausgesetzter, wie ein Hungernder, der an einer Mauer steht, über die die Düfte köstlicher Gerichte wehen.
»Du hast recht«, sagte sie leise. »Da können wir gar nichts tun. Nun sind wir bloß wieder allein. Nun falle ich dir voll zur Last –«
»Last! Wie du reden kannst, Luiserl. Du weißt, wie sehr ich dich liebe.« Er küßte wieder ihre Hände und die Unterarmbeugen. »Ich bin froh, daß wir allein sind, wirklich, Luiserl. Immer ein fremder Mensch um uns, auch wenn es Monika war … man konnte nie voll und ganz ein Mensch sein.«
Was er darunter verstand, spürte Luise sofort. Er beugte sich vor und wollte ihr Kleid über der Brust aufknöpfen. Ein eisiger Schrecken durchfuhr sie. Sie hielt seine suchenden Finger fest. Wie Klammern waren ihre Hände.
»Nicht jetzt, Ernst …«, sagte sie heiser. »Bitte …«
Es war wie eine Erlösung, als das Telefon schellte. Ärgerlich ging Dahlmann zum Büfett und hob ab. Aus der Apotheke rief jemand an. Man hatte den Schlüssel zum Giftschrank verlegt und bat um den Ersatzschlüssel.
»So eine Schweinerei!« schrie
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