Eine Sünde zuviel
eigentlich das Fundament seines Wesens war.
Ernst Dahlmann stieg die Stufen vom Atelier zur Wohnung hinunter und sah aus dem Dielenfenster hinaus auf die Straße. Der Lastwagen aus Soltau war abgefahren, in einer Stunde würde Luise zurückkommen. Es blieb also keine lange Zeit des Handelns mehr.
Handeln! Aber was? Wie? Wohin mit Monika?
Auf der Couch schlief Monika. Sie schnarchte leise, eine Nebenerscheinung, die man bei Morphiumbetäubten oft beobachtet. Dahlmann setzte sich neben sie und grübelte.
Er dachte alle Möglichkeiten durch, ja er flüchtete sich sogar in das Absurde und erinnerte sich einer Reihe von Szenen, die er in Kriminalromanen im Laufe der Jahre gelesen hatte. Wie ließen die Autoren dort die lästigen Körper verschwinden?
Dahlmann schloß die Augen. Vom Säurebad bis zum simplen Vergraben in Einzelteilen fiel ihm alles ein, nur waren es Dinge, die er nie mit der eigenen Hand hätte ausführen können. Grausamkeit lag ihm nur in der perversen Form psychischer Zertrümmerung … manuell war er als Verbrecher völlig unbrauchbar.
Wie viele große Dinge aus dem Zufall entstehen, so kam auch hier der Zufall zu Hilfe. Die Lösung des Problems, wohin mit Monika, hatte so nahegelegen, daß sich Dahlmann jetzt wunderte, warum er überhaupt gegrübelt und Hilfe bei der Kriminalliteratur gesucht hatte. Das Einfachste lag oft so nahe, daß man es übersah. Wie sagt ein orientalisches Sprichwort: »Über einer schönen Eselin vergißt man das eigene Pferd.«
Dahlmann sprang auf und atmete erleichtert auf.
Er war seit sechs Jahren Mitglied eines Kegelklubs. In diesem Klub war auch ein Dr. Forster, ein Frauenarzt, der als großer Jäger galt, und nicht nur in den Wäldern. Er hatte eine Jagd gepachtet mit einer Jagdhütte, die ziemlich einsam lag, mitten in einem Hochwald aus Kiefern und Birken. Diese Hütte hatte er Dahlmann vor einigen Wochen angeboten. Sie war für Dr. Forster uninteressant und unwirtschaftlich geworden, nachdem seine Frau sie entdeckt hatte und eines Abends plötzlich dort auftauchte, just in der Stunde, in der sich Dr. Forster um den Abschuß einer berockten Ricke bemühte. Es ist verständlich, daß Frau Forster auf Aufgabe der Jagdhütte bestand, was Dr. Forster einsah nach Aufdeckung der Geheimhaltung. So kam Ernst Dahlmann zu dieser Hütte, während Dr. Forster vom Wald in den Dschungel der Großstadt ausgewichen war und sich dort ein kleines Appartement gemietet hatte. Im Kegelklub wurden bereits stille Wetten abgeschlossen, wann der kriminalistische Spürsinn Frau Forsters auch diese neue ›Jagdhütte‹ entdeckte.
Ernst Dahlmann suchte in den Taschen seiner Anzüge nach dem Schlüssel, den ihm Dr. Forster gegeben hatte. Auch verwahrte er in irgendeiner Tasche den Plan, wie man die Hütte erreichen konnte. Es war gar nicht so einfach … sie lag so einsam, daß selbst der Revierförster sie nur bei seinen Inspektionsgängen berührte, und das war bei der Ausdehnung des Waldgebietes alle vierzehn Tage.
Endlich fand Dahlmann Plan und Schlüssel. Er sah auf die Uhr … ihm blieb noch eine halbe Stunde.
Was er jetzt tat, vollbrachte er mit Überlegung und Logik. Das Bewußtsein, nicht töten zu müssen und doch zum Ziel zu kommen, erzeugte in ihm eine fast euphorische Stimmung. Er hätte singen und pfeifen können, und die Melodie, die ihm einfiel, war so makaber wie sein Tun … »Machen wir's den Schwalben nach, bau'n wir uns ein Nest …«
Er baute es sich … erst rollte er Monika in eine Decke und trug sie hinunter in das Forschungslabor, zu dem nur er einen Schlüssel hatte. Von dort ging eine Tür in einen Innenhof. Dorthinein fuhr er den Wagen und legte Monika auf die Hintersitze. Dann rannte er zurück in die Wohnung, schrieb einen Zettel für Luise, den Fräulein Pleschke vorlesen würde: »Bin in drei Stunden wieder zurück. Küßchen, Ernsti …«, legte ihn auf den Tisch neben eine Schale mit Obst (Luise würde ihn dort bestimmt finden, denn meistens ließ sie sich nach dem Spaziergang eine Apfelsine schälen), rannte zurück zum Wagen, klemmte den ›Fahrplan‹ zur Jagdhütte an den Aschenbecher des Armaturenbretts, horchte an der Decke, wie Monika atmete, und fuhr dann ab.
Er stellte das Autoradio an, suchte einen flotten Sender und fuhr vergnügt durch Hannover nach Osten.
Wie abhängig der Mensch von Stimmungen ist, dachte er. Eben noch war ich verzweifelt, jetzt fühle ich mich leicht wie ein junger Adler in klarer Gebirgsluft.
Wirklich, der Mensch
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