Eine Sünde zuviel
ist ein Phänomen.
*
Die Hütte lag tatsächlich abseits, »jenseits von Gut und Böse«, wie es Dr. Forster einmal gesagt hatte. Man erreichte sie nur über eine halbzugewachsene Schneise und dann in einer Slalomfahrt zwischen den Kiefern und Birken hindurch über einen weichen, federnden, an einen Sumpf erinnernden Humusboden. Hier war man vor Entdeckungen sicher, wenn man keine Frau wie Dr. Forster besaß. Es ist eine alte Weisheit, daß eifersüchtige Frauen einen phänomenaleren Spürsinn entwickeln als der ausgekochteste Kriminalist. Männer vergessen das nur zu oft in ihrer verliebten Gockelhaftigkeit. Wenn sie dann entdeckt werden, stehen sie vor einem Rätsel, das gar keines ist.
Ernst Dahlmann hatte den Wagen hinter dem Haus geparkt und schleppte nun seine inhaltsreiche Decke in die Hütte. Es roch ungelüftet, etwas muffig und schimmelig, vermischt mit kaltem Rauch und einem gewissen Hauch von süßlichem Parfüm, der aus der schaumgummigepolsterten Auflage strömte, mit der eine große Holzbank hinter einem mächtigen Bauerntisch bedeckt war. Der Auszug Dr. Forsters – oder vielmehr seine Austreibung aus dem Paradies – mußte so plötzlich und elementar erfolgt sein, daß der zarte Duft einer verbotenen Liebe nicht mehr in den Wald gelüftet werden konnte.
Dahlmann legte Monika auf die Bank. Das Halbdunkel störte ihn. Elektrisches Licht wäre hier ein Wunder gewesen, aber Dr. Forster hatte die Notwendigkeit mit der Romantik verknüpft. Es gab einige schöne Petroleumlampen aus Messing, mit bunten Schirmchen über den Glaszylindern. Dahlmann steckte zwei von ihnen an und leuchtete den großen Hüttenraum ab.
Ein Propangasherd, ein Holzofen, daneben Holzscheite, ein Bauernschrank mit Vorräten, buntbezogene geschnitzte Stühle, im Hintergrund ein Alkoven, vor dem breiten Bett ein bis zum Boden reichender, geblümter Vorhang. Lustig und fröhlich, wie es sich für die Abschirmung eines solchen Bettes gehört.
Um sicherzugehen, kontrollierte Dahlmann die Klappläden. Sie waren dick und dicht, die Sperriegel waren durch Eisenschienen gesichert und mit Schlössern versehen. Die Tür bestand aus dicken, doppelten Bohlen, die Wände waren massive Holzstämme, auf die außen noch eine Stulpschalung genagelt war. Ein einbruchsicheres Haus … man konnte nicht hinein, ohne es zu zerstören, und (was für Dahlmann viel wichtiger war) man konnte auch nicht hinaus, ohne es einzureißen. Hier konnte man schreien und trommeln, an die Wände hämmern und mit den Tischbeinen gegen die Türe rennen … es gab kein Entrinnen.
Der Vorratsschrank war leer. Nur eine Büchse Kakao war da und drei Büchsen Kondensmilch. Die letzte Besucherin Dr. Forsters mußte ein Süßmäulchen gewesen sein. Ein paar Aluminiumtöpfe hingen an den Wänden. Monika würde also nach ihrem Erwachen sich nur eine Kanne Kakao kochen müssen. Das mußte reichen, bis er am nächsten Tag wiederkam und ihr genug an Verpflegung mitbrachte.
An Petroleum waren noch drei volle Zehnliterkannen vorhanden. Dr. Forster schien kein Freund der Dunkelheit gewesen zu sein … als Mediziner war er daran gewöhnt, Handgriffe nicht nur zu fühlen, sondern auch zu sehen. Das Petroleum würde also auch reichen … Warum lediglich der Kakao dageblieben war, schien Dahlmann ein Rätsel. Die sparsame Frau Forster hatte alles ausgeräumt und mitgenommen, als die Jagd geschlossen wurde. Nur den Kakao nicht. Vielleicht mochte sie keinen Kakao.
Ernst Dahlmann war mit sich und seiner Umgebung zufrieden. Er wickelte Monika aus der Decke und trug sie in das hohe Alkovenbett. Dort deckte er sie mit einer Steppdecke zu und schob eine Schüssel in ihre Kopfnähe. Morphinbetäubte übergeben sich leicht beim Erwachen.
Er beugte sich über sie. Ihr Gesicht war gelbblaß und wie eingefallen. Sie schlief fest. Dahlmann zog die Steppdecke über sie, strich ihr über die goldblonden Haare und das entspannte Gesicht.
»Schlaf schön, Moni«, sagte er.
Am Tisch schrieb er ein paar Zeilen und heftete den Zettel an den Schirm der am nächsten stehenden Lampe.
»Ich komme morgen wieder. Bitte, versuche nicht, irgend etwas anzustellen. Es wäre eine Dummheit. Warte auf mich und hab Vertrauen. Ernst.«
Er löschte die Petroleumlampen, ging noch einmal zurück zu Monika, zog den Vorhang vor den Alkoven und hatte dabei den Gedanken: Ende des 2. Aktes. Der Vorhang fällt.
Der Vorhang fällt …
Als er es dachte, war er sich der grausigen Wirklichkeit dieses Satzes noch nicht
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