Eine Sünde zuviel
sei es ein Kuhhandel, statt Sie an die Wand zu werfen und einen Skandal zu entfesseln, der Ihnen Ansehen und Stellung kosten würde!«
»Was hätten Sie davon?« Robert Sanden war ganz ruhig. In seinem Bettlerkostüm sah er zerknittert und vergrämt aus. »Glauben Sie, dadurch gewännen Sie Luise zurück?«
»Luise ist … ist Ihre Geliebte?«
»Für diese Frage müßte ich Ihnen als Ehrenmann eine herunterhauen.«
»Ich habe ein Recht auf Wahrheit!«
»Fragen Sie Luise.«
»Sie gestand es mir ja.«
»Wenn Luise es Ihnen sagte, sehe ich keinen Anlaß, es zu dementieren.«
Dahlmann legte seine Fäuste auf den Tisch. Sie bebten vor verhaltener Wut.
»Fünfundzwanzigtausend«, sagte er hart.
»Wie bitte?« Sanden beugte sich vor.
»Ich biete eine wirtschaftliche Sicherheit.«
»Sie wollen Luise von mir abkaufen?«
»Ich will Ihnen die Torheit ersparen, sich einer Frau wegen zu ruinieren. Außerdem will ich Luise schützen. Sie ist blind, und sie wird immer blind bleiben. Es gibt keine Heilungsmöglichkeiten mehr. Wir haben alles unternommen. Luise wird also immer Pflege brauchen, sie wird nie mehr ein vollgültiger Mensch sein … und ich möchte sie davor bewahren, von Ihnen betrogen und weggeworfen zu werden, wenn Sie ihrer überdrüssig geworden sind. Bei Menschen Ihres Berufes geht das schnell … Ihre mangelnde Moral haben Sie ja bereits unter Beweis gestellt.«
»Man sollte vor Ihnen ausspucken!« sagte Sanden erregt.
»Dreißigtausend …«
»Gehen Sie!«
»Ich warne Sie, Sanden.«
»Ich habe keine Angst vor Ihnen.«
»Ich schrecke vor nichts zurück.«
»Alles, was Sie gegen mich tun, richtet sich auch gegen Sie! Luise würde Ihnen nie verzeihen –«
Dahlmann biß die Zähne zusammen. Sanden sprach aus, was Dahlmann immer gedacht hatte. Es lag allein an Luise, wie das Leben weiterging. Es hatte immer an Luise gelegen … vom ersten Tage an. Immer war er nur ein Anhängsel gewesen, ein Bierzipfel, den man von einer Tasche in die andere schob, wenn man den Anzug wechselte.
Das muß ein Ende haben, dachte Dahlmann. Ein schnelles Ende, und wenn es voller Schrecken ist. Und man müßte bescheiden sein … der große Wurf war nicht gelungen, das Kapital, das die plötzliche Blindheit Luises bedeutete, war in seinen Händen zerronnen, und er stand vor einem Rätsel, wieso so viele Dinge geschehen konnten, die zu einer Mauer zwischen ihm und Luise wurden, Dinge, an die man vorher nie gedacht hatte und die im Leben Dahlmanns utopisch schienen. Er war in ein Labyrinth geraten und irrte nach dem Ausgang. Er verstand es einfach nicht.
»Ich glaube, unser Gespräch ist beendet«, sagte Robert Sanden. Dahlmann schrak aus seinen Gedanken auf.
»Sie lassen nicht von Luise?«
»Nein. Nie mehr.« Sanden lächelte maliziös. »Warum lassen Sie sich nicht von ihr scheiden?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Was haben Sie davon, sich an eine Frau zu klammern, die Ihnen nie mehr gehören wird?«
»Das bleibt abzuwarten.«
Robert Sanden zog die künstlichen, buschigen Augenbrauen hoch. Jetzt war er der Bettler, der seinen kranken König mit aufklärenden Worten belehren wollte.
»Warten Sie bitte nicht«, sagte er langsam. »Luise wird in einer Woche von Ihnen weggehen. Sie zieht zu mir.«
Er drehte sich schroff um und verließ die Kantine. Dahlmann blieb wie auf den Stuhl genagelt sitzen. In seinen Schläfen hämmerte und drückte das Blut. Er hatte das Gefühl, sein Kopf müsse explodieren.
In einer Woche zieht Luise zu ihm, durchjagte es ihn. In einer Woche ist alles vorbei. In einer Woche … So kann ein Leben zu sechs Tagen zusammenschrumpfen, ein Leben, das man glaubte, bis zum späten Ende gesichert zu haben.
Eine Woche noch. Dahlmann stand auf, legte eine Mark neben das halb getrunkene Bier und verließ die Kantine des Theaters. Der Portier sprach ihn an, er hörte nicht auf die Worte und ging stumm vorbei. Er stieg wie ein Schlafwandler in seinen Wagen und fuhr durch die Straßen. Kreuz und quer durch Hannover … vom Hauptbahnhof zum Maschpark, vom Welfengarten bis zum Eilenrieder Wald, von der Rennbahn bis zum Güterbahnhof, hin und her, automatisch fast, mit leeren Augen und einem brennenden Gehirn.
Es muß etwas geschehen … das war das einzige, was er dachte. In dieser Woche muß etwas geschehen.
Zum erstenmal dachte er an den eigenen Untergang. Das war für ihn so ungeheuerlich, daß er selbst seine Angst vergaß. Mit mir werden sie alle untergehen, dachte er in wahnsinniger
Weitere Kostenlose Bücher