Eine Sünde zuviel
das ein zweites Leben …?
Ernst Dahlmann wischte sich über das Gesicht. Kalter Schweiß überzog ihn.
Ins Moor, dachte er wieder. Es bleibt kein anderer Weg. Sie muß ins Moor. Er stand auf und tappte mit schweren Füßen zu dem Alkoven. Wie Blei lag es in seinen Gliedern, jeder Schritt war ein Schleppen von Zentnergewichten. Er zog den bunten Vorhang wieder vor das Bett, löschte die Petroleumlampe und verschloß hinter sich die dicke Bohlentür. Im Freien, nicht mehr umgeben von dem süßlichen Geruch, atmete er ein paarmal tief durch und schwankte zu seinem Wagen.
Man muß das alles genau planen, dachte er. Man kann nicht einfach mit der Leiche im Kofferraum durch die Gegend irren und sich ein Moorstück aussuchen. Man muß wissen, wo der Sumpf tief ist, wo nie oder selten ein Mensch hinkommt, wo man auf Jahrzehnte hinaus nicht daran denkt, Torf zu stechen oder zu kultivieren.
Jetzt sah er auf die Uhr. Die Zeit rast … früher war sie sein Verbündeter gewesen … nun wurde auch sie zu seinem Feind. Vier Tage sind nichts für alles das, was er zu tun gedachte. Ein Tag davon war schon zur Hälfte herum, und er hatte nichts getan als dagesessen, einen toten Körper angestarrt und sich bemitleidet.
Bevor er abfuhr, sah er noch einmal auf die einsame Waldhütte. Wieder packte ihn ein kalter Schauer, eine würgende Angst. Er jagte aus dem Wald hinaus, über die halbzugewachsene Schneise, den Feldweg, die sandige Straße und hinauf auf die Chaussee. Erst am Stadtrand Hannovers wurde er ruhiger.
In der Wohnung erwarteten ihn Luise, Dr. Ronnefeld, Dr. Kutscher und Julius Salzer. Sie saßen da wie ein Femegericht, ernst und ihn anstarrend, als er eintrat. Ernst Dahlmann sah zuerst Dr. Ronnefeld und krauste die Stirn. Dann bemerkte er Salzer, und er wußte, daß es ernst wurde.
»Sie, Doktor?« sagte Dahlmann arrogant. »Habe ich vergessen, Ihnen eine Rechnung zu bezahlen? Das hätten Sie auch schriftlich anmahnen können, statt sich hierher zu bemühen …«
»Ich bin als Arzt Herrn Salzers hier.«
»Das kümmert mich wenig! Auch Herrn Salzer habe ich nicht eingeladen, ebensowenig wie Herrn Dr. Kutscher. Es sei denn, Sie alle sind von meiner Frau hierher gebeten worden. Dann verlange ich allerdings eine deutliche Erklärung dieser Versammlung mir unangenehmer Gesichter –«
Das klang sehr stolz und sehr verletzend. Dr. Ronnefeld wurde rot, aber die Hand Dr. Kutschers, die sich auf seinen Arm legte, beruhigte ihn etwas. Luise sah ihn durch ihre dunkle Brille groß an. Die Haltung der Blinden gab sie nicht auf. Noch wußte keiner der Anwesenden, daß sie sehen konnte. Aber sie war gewillt, jetzt, in dieser Stunde, die Brille abzunehmen und den letzten Schlag zu versetzen, der Dahlmann vernichtete.
»Wo ist Monika?« fragte sie mit fester Stimme.
»Wie soll ich das wissen?« Dahlmann hob die Schultern. »Ich bitte dich, Luiserl … deine Schwester läuft einfach weg, und ich soll mich noch um sie kümmern wie eine Amme? Sie ist alt genug. Überhaupt sollte dieser Herr dort wissen, wo sie ist.«
»Sie ist nicht in Soltau!« schrie Julius Salzer. »Aber bei Ihnen war sie zuletzt!«
»Anscheinend nicht. Sonst wäre sie ja noch hier! Es scheint überhaupt in der Familie Horten zu liegen, daß die Töchter auswärts übernachten …« Das war eine Anspielung auf Luise und Sanden. Dr. Kutscher fiel sofort ein.
»Lassen Sie den Quatsch, Dahlmann. Das gehört nicht hierher.«
»Und ob das hierhergehört!« rief Dahlmann. »Ich möchte Ihre Reaktion sehen, wenn Ihnen Ihre Frau eröffnet, daß sie einen Geliebten hat!«
»Ich würde mich scheiden lassen.« Dr. Kutscher lächelte breit. »Ich bin hier, um das einzuleiten. Oder wollen Sie nicht? Ihre Frau verzichtet auf jeden Sühnetermin … sie nimmt die volle Schuld auf sich! Was wollen Sie mehr?«
Dahlmann wurde es heiß. Noch dreieinhalb Tage, dachte er. Ich muß die Post durchsehen, wie hoch die Kontenstände sind. Ich werde sie bis auf den letzten Pfennig leer machen …
»Wir werden noch darüber reden, Doktor. Nächste Woche. Im allgemeinen bin ich einverstanden.«
Luises Kopf fuhr vor. Auch Dr. Kutscher richtete sich verblüfft auf.
»Sie willigen in die Scheidung ein?«
»Ja. Über Einzelheiten müssen wir noch sprechen.«
»Natürlich.«
Luise nagte an der Unterlippe. Die Bereitschaft Dahlmanns war ihr willkommen, aber andererseits unheimlich. Sie mußte einen tieferen Grund haben als die Beleidigung, die ihr Verhältnis, ihr angebliches
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