Eine Tankstelle fuer die Seele
Starre lösen, obwohl noch keine wirkliche Lösung in Sicht ist. Diese Phase ist gekennzeichnet von schwankenden Gefühlen, von einem Vor und Zurück, von Hoffnung und Verzweiflung, von Nicht-wahrhaben-Wollen, von heftigen Gefühlen. Die Betroffenen erzählen am liebsten ihre Geschichte immer wieder, so als würde sie »wiedergekaut« und damit ein Stück weit verdaut. In dieser Phase werden in der Regel die Freunde strapaziert, die selbst beim wiederholten Hören der Geschichte noch Geduld und mitfühlende Worte aufbringen müssen. Gegen Ende dieser Phase setzt eine gewisse Beruhigung ein.
C.G. Jung sagte dazu: »Die Albedo ist gewissermaßen die Dämmerung; aber erst die Rubedo ist der Sonnenaufgang.« (GW Band 12)
Rubedo – Rötung
Die Rubedo wird erreicht durch Steigerung des Feuers, die Steigerung der Intensität des Prozesses auf den höchsten Grad. In der Pflanzenalchemie kommt jetzt die Destillation zu ihrem Ende, die wasserlöslichen Salze werden aus der Pflanzenasche gewonnen, es kommt zur Vereinigung von ätherischem Öl, Alkohol und Salz. Die Rubedo als letzte Phase des alchemistischen Prozesses führt zur endgültigen Gewinnung des Heilmittels. Im alchemistischen Prozess darf man zum Beispiel jetzt weder zu zaghaft noch vorschnell handeln. Es muss genau der richtige Zeitpunkt für die Beendigung des Prozesses gefunden werden, sonst ist das Werk gescheitert, das Produkt verdorben. Ist »Kairos«, der ideale Augenblick, gefunden, ist das Motto der Pflanzenalchemie eingelöst: »solve et coagula« – trenne, reinige und füge wieder zusammen.
Im psychischen Prozessverlauf müssen noch einmal Gefahren bestanden werden, zum Beispiel indem man bereit ist, den eigenen Anteil an einem Problem, den eigenen Schatten, anzunehmen. Es geht darum, sich von den Projektionen zu befreien, Verantwortung zu übernehmen und bereit zu sein, diese Erkenntnisse auch ins reale Leben umzusetzen. Am Ende steht oft der Mut, sich zu etwas durchzuringen, zu »springen«, ohne zu zögern und zu hadern. Wie im alchemistischen Prozess kann ein zu langes Zögern oder ein vorschnelles Handeln alles verderben. Wieder ist die Intuition in Form der inneren Stimme gefragt, die den richtigen Moment kennt. Die Harmonie der Rubedo wird immer durch Entwicklung und Erkenntnis errungen. Der Lohn dieser Arbeit ist u. a. inneres Wachstum, Weisheit, Gelassenheit und Vertrauen ins Leben.
Prozessphasen im Überblick
1. Phase – alchemistisch Nigredo, Kennzeichen u. a.:
Schockerfahrung
Verzweiflung
Orientierungslosigkeit
Stagnation
depressive Verstimmung
Gefühle von Hilflosigkeit und Mutlosigkeit
Gefühl, Opfer zu sein und keine Wahl zu haben
Erschöpfung
Burnout-Syndrom
2. Phase – alchemistisch Albedo, Kennzeichen u. a.:
wiederholtes Auf und Ab
Hoffnung und Verzweiflung
Bedürfnis nach Austausch
Rat und Informationen von außen, gleichzeitig Zweifel und Verunsicherung
mangelndes Vertrauen in die eigene Entscheidung
eine gewisse Bewegung ist spürbar
eine Wende ist in Sicht
3. Phase – alchemistisch Rubedo, Kennzeichen u. a.:
das Problem beginnt sich zu lösen
Klarheit entsteht
Tun ist angesagt
Mut, um das Erkannte umzusetzen
Ablösung vom Alten
der letzte Schritt
Vertrauen in die innere Führung
die Lebenskräfte erstarken
Licht am Ende des Tunnels
Nichts muss bleiben, wie es ist
»Nichts muss bleiben, wie es ist«, schreibt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther in seinem Buch »Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn« und bestätigt damit, dass der Prozess des Lebens immer weitergeht. Bis zur letzten Stunde können wir uns wandeln. Vielleicht will uns auch noch die letzte Stunde, so wie Hermann Hesse in seinem Gedicht »Stufen« sagt, »neuen Räumen jung entgegen senden«. Wir Menschen sind anscheinend lebenslang in der Lage, einmal entstandene Verschaltungen im Gehirn und die damit verbundenen Vorstellungen, Überzeugungen und Gefühlsstrukturen, also die daraus resultierenden Muster zu verändern. Wir müssen nicht ein Leben lang schlechte Erfahrungen machen, immer wieder enttäuscht werden, den falschen Partner finden, uns immer wieder als ohnmächtige Kinder fühlen oder wie die Muster sonst so heißen.
Das Verändern von alten Mustern ist allerdings nicht ganz leicht, denn, so Hüther in einem Vortrag, »in diesen alten Mustern machen wir es uns so richtig bequem. Das Gehirn liebt energiesparende Modi, das heißt so lange, bis diese uns wirklich unbequem, sprich so richtig schmerzhaft werden«.
Aus meiner
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