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Eine Tankstelle fuer die Seele

Eine Tankstelle fuer die Seele

Titel: Eine Tankstelle fuer die Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna E. Roecker
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Foto aus dieser Zeit, das ihn mit Gewehr, Messer, Pistole und Cowboyhut zeigt. Dass das Gewehr aus Holz und das Messer aus Pappmaschee war, hat ihn damals überhaupt nicht gestört. Heute gibt es andere Helden, in die sich Kinder verwandeln möchten, vielleicht in Harry Potter oder einen Helden von einem anderen Planeten. Und heute muss ja niemand mehr auf die besonderen Wochen im Jahr warten, sondern kann sich per Computerspiel in jede gewünschte Gestalt versetzen.
    Auch in unseren kindlichen Spielen zeigte sich diese Lust an Verkleidung und Rollenspielen. Zwar waren dabei viele durch äußere Erfahrungen angeregt, entwickelten aber oft im weiteren Verlauf ein Eigenleben. So erinnere ich mich an meine Rolle als »Messdienerin« bei den religiösen Zeremonien, die von meinem Onkel und meiner Schwester geleitet wurden. Wir spielten mit winzigen kleinen Monstranzen und Kelchen Gottesdienst und dabei musste ich als Jüngste die Handlangerdienste leisten. Ich erinnere mich noch, wie sehr uns das Ritual in den Bann zog und wie wir mit ernster Miene in einer Art Prozession um den kleinen Platz vor dem Haus meiner Großmutter herumzogen. Vielleicht können Sie sich erinnern, in welche Figur Sie gerne geschlüpft sind oder wer Sie gerne gewesen wären? Vielleicht war wie in meiner Kindheit auch nicht jede Verwandlung möglich? Die Prinzessinnenrolle blieb mir trotz heftigen Wünschens versagt; mangels des entsprechenden »Outfits« war sie von der Faschingsliste gestrichen worden. Und vielleicht erinnern Sie sich sogar an das Gefühl, das mit den entsprechenden Figuren verbunden war? Vielleicht waren Sie ein Clown, der endlich alles machen und sagen durfte, was er wollte? Vielleicht ein Pirat, eine Hexe oder ein Außerirdischer? Vielleicht finden Sie ein Foto aus dieser Zeit und lassen sich ein bisschen in die Vergangenheit entführen. Als Jugendliche waren es dann die Filmhelden und Filmschönheiten, die Beatles, Joan Baez, Bob Dylan, Friedensaktivistinnen, Mutter Teresa oder die Helden der Befreiungstheologie, deren Bilder ich mir als Poster aufhängte; vielleicht ein bisschen in der Hoffnung, dass etwas von deren Glanz oder deren Mut auf mich übergehen würde. Erinnern Sie sich, welche Bilder Sie mit sich herumgetragen haben von Menschen, denen Sie nacheifern wollten, die Sie beeindruckt haben, die zu einer Art Vorbild wurden? Vielleicht gab es auch eine Zeit, in der Sie Mogli aus dem Dschungelbuch, Pippi Langstrumpf oder Walt Disneys Onkel Dagobert geliebt haben, für den es nichts Schöneres gibt, als morgens ein Bad in seinen Golddukaten zu nehmen?
    Was macht die Faszination der Gestalten in Mythen, Märchen und Fantasy-Romanen und -Filmen aus und warum schlüpfen wir zumindest in bestimmten Lebensphasen gern in die Rollen von Prinzessinnen oder Fußballhelden? Offensichtlich spüren wir, dass sie etwas verkörpern, was wir jetzt gerade in dieser Lebensphase brauchen, was wir uns wünschen und was als Urbild bereits in uns lebt. Nehmen wir zum Beispiel die Fee: Wesentlich an ihr ist das »nicht ganz von dieser Welt sein«, die Fähigkeit zu zaubern, Wünsche zu erfüllen. Sie gehört ins Reich der Luftwesen, die wie aus dem Nichts auftauchen und meistens freundlich gesinnt sind. Aber sie können sich auch von ihrer Schattenseite zeigen, wie im Märchen Dornröschen, wo die dreizehnte, die dunkle Fee, eine »Ver-wünschung« ausspricht. Wenn wir uns in eine Fee »verwandeln«, erfüllen wir vielleicht eine Art Ursehnsucht nach dem, was sie verkörpert. Andere Muster des Empfindens und Verhaltens, andere Vorstellungen und Sehnsüchte, wie Freisein von allen Zwängen, Leichtigkeit, Gelassenheit und Naivität verkörpern sich auf moderne Weise, zum Beispiel in der Figur von Pippi Langstrumpf. Auch diese Bedürfnisse schlummern in uns und bekommen durch eine konkrete Figur eine Art Form. Der Archetyp ist also »eine angeborene Tendenz, solche bewussten Motivbilder zu formen – Darstellungen, die im Detail sehr voneinander abweichen können, ohne jedoch ihre Grundstruktur aufzugeben«, so C.G. Jung im Artikel »Der Archetyp in der Traumsymbolik« in seinem Buch »Der Mensch und seine Symbole«.
    Aber nicht selten ist es einfach das Leben selbst, das uns eine Begegnung mit einem Menschen bringt, der archetypische Qualitäten verkörpert und durch den etwas in unserem Leben in Bewegung gesetzt wird. Ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann erzählte mir von einer solchen Begegnung. Aus meiner Sicht war es der Archetyp des

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