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Eine tolle Zeit

Eine tolle Zeit

Titel: Eine tolle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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wobei sie fast nur die Augen bewegte. Sie hatte sich ein graues Seidentuch um ihren Pony gebunden. Ihr kurzes graues Seidenkleid, das glatt herabfiel, machte sie weniger zur Vogelscheuche, obwohl sie auch davon etwas hatte, sondern ließ sie eher wie ein kleines Mädchen aussehen, außer daß der Ausschnitt ziemlich tief kam und man sehen konnte, daß sie doch nicht mehr so klein war.
    Ihr Blick blieb schließlich an mir hängen, und ich hatte ein ganz komisches Gefühl der Leere, denn Frau en nehmen immer mich als Publikum. Außerdem waren Sid und ich die Mittelpartei in unserer brandneuen Sta tionspolitik.
    Sie machte einen tiefen Atemzug, reckte das Kinn vor und sagte mit einer Stimme, die ein wenig höher und britischer klang als gewöhnlich: »Wir Mädchen haben oft geschrien: ›Macht die Tür zu!‹ Aber jetzt ist die Tür verflixt nachhaltig geschlossen!«
    Ich wußte, daß ich richtig vermutet hatte, und vor Verlegenheit war mir ganz seltsam, weil ich doch Bescheid weiß mit diesen Liebesgefühlen, und wie man sich vorstellt, die andere Person zu sein und unbedingt ihr Leben führen möchte – und dessen Glanz für sich beanspruchen, obwohl man sich dessen nicht bewußt ist – und wie man die Fackel des anderen tragen möchte, und wie das alles verderben kann. Doch mußte ich zugeben, daß ihre Worte gar kein so schlechter Start waren – jedenfalls unangenehmerweise wohl die Wahrheit.
    »Mein Verlobter glaubt, daß wir die Tür vielleicht wieder öffnen können. Ich glaube das nicht. Er hält es für ein wenig verfrüht, die besondere Lage zu diskutieren, in der wir uns alle befinden. Ich bin da anderer Meinung.«
    Heiseres Gelächter tönte von der Bar herüber. Die Militaristen meldeten sich. Erich trat vor, einen sehr glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht. »Jetzt müssen wir uns also redenschwingende Frauen anhören«, rief er. »Was ist das überhaupt hier für eine Station? Sidney Lessinghams Samstagabend-Nähkreis?«
    Beau und Siebensee, die ihr Hin- und Hermarschieren auf halbem Wege zwischen Bar und Kontrolldiwan aufgegeben hatten, wandten sich Erich zu, und Siebensee wirkte ein wenig stämmiger, war mehr als nur ein halbes Pferd, wie die Satyre in den Mythologiebüchern immer dargestellt werden. Er stampfte auf – mittelhart, würde ich sagen – und bemerkte: »Ach schießt doch in’ Wind.« Ich hatte festgestellt, daß er sein Englisch von einem Dämonen hatte, der Hafenarbeiter mit anarchistischen Neigungen gewesen war. Erich verstummte einen Augenblick und stand grinsend vor uns, die Hän de in die Hüften gestemmt.
    Lili nickte dem Satyr zu und räusperte sich ein wenig erschreckt. Aber sie sagte nichts; ich spürte, daß sie etwas überlegte und fühlte, und ihr Gesicht wurde häßlich und ausgezehrt, als stünde sie in einem Veränderungswind, der mich noch nicht erreicht hatte, und ihr Mund verzog sich, wie um gegen Tränen anzukämp fen, doch einige schossen ihr in die Augen, und als sie schließlich das Wort ergriff, war ihre Stimme eine Ok tave tiefer, und es war nicht nur London am Zug, sondern auch ein wenig New York.
    »Ich weiß nicht, wie sich die Wiedererweckung bei euch angefühlt hat, weil ich neu bin und ungern Fragen stelle, aber bei mir war’s ne reine Qual, und ich wünschte nur, ich hätte den Mut gehabt, Suzaku zu sagen: ›Ich möchte Zombie bleiben, wenn’s Ihnen nichts ausmacht. Die Alpträume sind mir lieber.‹ Aber ich nahm die Wiedererweckung hin, weil man mich Höflichkeit gelehrt hatte, und weil in mir so ein unbegreiflicher Dämon steckt, der immer nur leben möchte, und ich stellte fest, daß ich mich immer noch wie ein Zombie fühlte, obwohl ich herumsausen konnte, und daß ich auch die Alpträume noch hatte, außer daß sie ein gutes Stück lebhafter geworden waren.
    Ich war wieder ein junges Mädchen, und wahrscheinlich wünscht sich jede Frau, siebzehn zu sein, aber innerlich war ich nicht siebzehn – ich war eine Frau, die 1929 in New York an der Brightschen Krankheit starb und die, weil eine Große Veränderungslinie meine Lebenslinie in eine neue Richtung blies, 1955 im nazibesetzten London an der gleichen Krankheit ein zweitesmal starb, weitaus langsamer, weil der Alkohol um einiges knapper war, wie ihr euch vorstellen könnt. Ich mußte mit beiden Erinnerungswelten leben, und die Veränderungswelt hat sie nicht ausgelöscht, wie sie das angeblich bei jedem Dämon tut; und sie drängte sie nicht einmal in den Hinter grund, was ich mir erhofft

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