Eine tollkuehne Lady
Dinge ihn unendlich, und am Ende unterhielt er sich meistens mit anderen älteren Herren in irgendeinem Winkel über Politik.
Nicht an diesem Abend.
Er schob sich im Gehen eine Meringue in den Mund und seufzte tief, als er den Geschmack auf der Zunge spürte. Mandel? Zitrone? Ein Hauch von Vanille? Was immer es sein mochte, es war köstlich.
Gedankenverloren summte er die Melodie mit, die gerade vom Orchester zum Besten gegeben wurde, und glaubte, nie zuvor eine so himmlische Meringue gegessen zu haben. Vielleicht würde er gleich noch eine nehmen.
Als er unter den Kolonnaden hindurchging, belauschte er unfreiwillig, wie ein untersetzter älterer Bursche mit einer roten Nase seinen Begleitern einen schmutzigen Witz erzählte. Aber aus unbekannten Gründen stellte Ian fest, dass nicht einmal solche Grobheiten ihn heute ärgern konnten. Gewöhnlich hielt er streng an der Meinung fest, dass so etwas in den Club oder auf die Rennbahn gehörte und ganz gewiss nicht in die Nähe von Damen, aber an diesem Tag stand er den Schwächen der Menschen außergewöhnlich nachsichtig gegenüber. Selbst das strahlende Licht der Kerzenleuchter erschien ihm sanft, als es die verkniffenen und von vielen Kümmernissen gezeichneten Gesichter der Matronen erhellte.
Gott allein mochte wissen, was da mit ihm geschah. Seine Sinne waren so geschärft, dass er sogar den Stoff seiner Kleider am Körper spürte, das gestärkte Leinen seines Hemdes, die weiche Merinowolle seiner schwarzen Hose. Das Krawattentuch trug er lockerer gebunden als sonst, und auch der Kragen war weniger steif.
Ja, dachte er, ich scheine mich mit etwas infiziert zu haben, das die Menschen nicht krank macht, sondern ihnen Wohlbehagen schenkt.
Er fühlte sich so lebendig an diesem Abend, als wäre er aus einem Winterschlaf erwacht. All das lag an Georgianas Wirkung auf ihn, natürlich. Er fragte sich, ob das wohl bedeutete, dass er sich verliebt hatte. Er fühlte sich lebendiger, geselliger, gelassener. Er lachte hier und lächelte dort, grüßte und scherzte.
Jetzt war Ian auf der Suche nach ihr.
Und da war sie, auf der anderen Seite des Raumes, bot einen herrlichen Anblick in ihrem schimmernden Satinkleid von der Farbe der Rosen im Sommer.
Langsam lehnte er sich an eine der korinthischen Säulen im Ballsaal und genoss es, sie einfach nur zu betrachten mit all der verzauberten Faszination, mit der diese verträumten Lakeland-Poeten die Sonne aufgehen sahen. Soweit er es aus der Ferne beurteilen konnte, schien es so, als würde sie ihre Sache ganz hervorragend machen.
Gestern waren sie übereingekommen, dass sie einen angemessenen Abstand zueinander wahren wollten, während sie sich in der Gesellschaft etablierte. Ihr ganz geheimer kleiner Spaß. Nun, eigenwillig, wie Georgie nun einmal war, wollte sie nicht an seinen Rockschößen hängen und die Gesellschaft zwingen, sich um seinetwillen vor ihr zu verneigen. Georgiana wollte auf eigenen Füßen stehen, wollte, dass die Menschen sie als Persönlichkeit sahen und kennenlernten, ehe ihre Verbindung bekannt wurde.
Mögliche Verbindung, erinnerte er sich. Jedenfalls in ihren Augen. In seinen Augen war das so gut wie sicher und nur noch eine Frage der Zeit.
Jedenfalls musste er zugeben, dass ihre Entscheidung, wie sie mit dieser Nacht umgehen wollten, richtig gewesen war. Sobald sich herumsprechen würde, dass ihr Verhältnis romantischer Natur war, wäre sie das Ziel aller eifersüchtigen Frauen geworden, die seit Catherines Tod ein Auge auf ihn geworfen hatten.
Nun, da er sie beobachtete und bewunderte, wie ihr indischer Schal sich um ihre Ellenbogen schmiegte, wurde ihm klar, dass er sich keine Sorgen hätte machen müssen, wie sie sich wohl in der Gesellschaft zurechtfinden würde. Dennoch hatte er ihr ein paar Ratschläge erteilt, wie sie mit dem ton umgehen sollte, und war erfreut zu sehen, dass sie sich das zu Herzen genommen hatte.
Georgiana bediente sich großzügig der Königin-von-Saba-Allüren, mit denen sie bei ihrer Ankunft auf dem bemalten Elefanten in Janpur eine solch große Wirkung erzielt hatte. Sie stach die vornehmsten blaublütigen Aristokraten Londons aus, indem sie sich ganz hochmütig und kühl gab, blasiert Dukes und Prinzen grüßte, als bedeutete es ein Privileg, ihr zu begegnen, und nicht umgekehrt.
Sie machte ihre Sache wirklich gut.
Nein, tatsächlich, die Nichte und Namensschwester der Hawkscliffe-Hure ließ keinen Zweifel daran, dass sie - ob sie nun aus der Provinz kam oder
Weitere Kostenlose Bücher