Eine tollkuehne Lady
Mann schien nicht gewillt, ihren Wunsch, einen Blick in das Oberhaus von der Besuchergalerie aus zu werfen, zu erfüllen. Er teilte ihr mit, dass es Damen im Allgemeinen nicht gestattet war, den Vorgängen dort zuzusehen. Aber Georgie setzte ihren ganzen Charme ein, bettelte und erklärte, nur zwei Minuten bleiben zu wollen, drei allerhöchstens, schwor beim Grab ihrer Mutter, nicht zu stören, erinnerte ihn an die hohe Stellung ihrer Familie, nannte sich selbst kühn die Verlobte des Marquess of Griffith, und bedrängte den Mann überhaupt um Matthews Willen, bis sie schließlich gewann.
Dann folgten sie und Matthew frohgemut dem älteren Herrn durch die Lobby zu den Treppen, vorbei an einer dämmerigen Bibliothek und an Sitzungszimmern, die durch die Jahre ganz schäbig geworden waren, bis hinauf zum zweiten Stock. Der Beamte warf einen demonstrativen Blick auf seine Taschenuhr, um sie an die Zeit zu erinnern, während Georgie Matthew ein letztes Mal ermahnte, leise zu sein, sobald sie sich auf der Galerie befanden. Dann öffnete ihr Begleiter ihnen die Tür und ließ sie auf Zehenspitzen die ansonsten völlig leere Besuchergalerie betreten.
Hand in Hand ging sie mit Matthew an das Geländer des schmalen Balkons, und gemeinsam blickten sie hinab zum Oberhaus, wo gerade eine Sitzung im Gange war.
Schwere Messingleuchter erhellten die rechteckige Halle, deren hinteres Ende von einem schweren Baldachin aus Samt beherrscht wurde, der über dem derzeit leeren Thron hing. Über der Wandvertäfelung waren in dunklem Holz gerahmte Wandteppiche befestigt, auf denen die Niederlage der Spanischen Armada dargestellt war.
Georgie lauschte nur mit einem Ohr den Ausführungen der Redner zu irgendwelchen wirtschaftlichen Themen und suchte mit den Augen in den Reihen roter Sitzplätze nach Ian. Sie entdeckte ihren Cousin Damien, Lord Winterley. Er saß recht weit hinten, da er der zuletzt ernannte Earl war. Robert nahm in der Reihenfolge einen ganz anderen Platz ein, da sein Titel bereits recht alt war. Innerhalb der Rangordnung der Peers bestimmte nur das Alter des Titels die Stellung.
Die ganze Zeit über waren verschiedene Männer von ihren Plätzen aufgestanden und hatten in rascher Folge gesprochen. Das scheinbare Durcheinander wurde dirigiert von dem Perücke tragenden Lordkanzler, der auf einem Ehrenplatz saß. Wieder einmal schlug der alte Mann mit dem Hammer. „Der Marquess of Griffith ist jetzt zugelassen.“
Als Ian sich erhob, lächelten Georgie und Matthew einander an. Das Thema hätte kaum langweiliger sein können - er kritisierte die hohen Ausgaben der Regierung in der letzten Zeit und protestierte gegen die Steuerpolitik. Georgie sah und hörte zu und bewunderte ihn. Dieser Mann bewegte sich vor den Peers des Reiches ebenso souverän wie bei einem kultivierten Gespräch beim Dinner.
„Meine ehrenwerten Lords.“ Als er gerade seine Ansprache beginnen wollte, ließ er den Blick über die überfüllte Halle bis hinauf zur Galerie gleiten.
Georgies Herz schlug schneller.
Abrupt hielt er mitten im Satz inne, als er sie entdeckte. Erstaunen zeichnete sich auf seinem schönen Gesicht ab, und dann, ganz plötzlich, konnte Matthew sich nicht länger zurückhalten.
Der Junge sprang auf und winkte ihm aufgeregt zu: „Papa! Das ist mein Papa!“
„Pst!“, versuchte Georgie ihn zum Schweigen zu bringen und befürchtete, dass jede Sekunde die Tür geöffnet und der ältere Beamte sie zurechtweisen würde. Als der frohe Ausruf des Kindes durch die Halle schallte, lachten die Lords jedoch und verdrehten die steifen Hälse nach dem Urheber der fröhlichen Unterbrechung.
„Ruhe! Ich bitte um Ruhe im Haus!“, schalt der Lordkanzler, obwohl auch um seine Lippen ein großväterliches Lächeln spielte.
Mit hochrotem Gesicht nahm Georgie den strahlenden Matthew, zog ihn vom Geländer zurück und in Richtung Tür, ehe sie Ian noch mehr in Verlegenheit brachten, weil sie offiziell hinausgeworfen wurden.
Dennoch konnte sie es sich nicht verkneifen, einen letzten Blick zu ihm zu riskieren. Einen winzigen Moment lang sahen sie einander tief in die Augen.
„Lord Griffith, gibt es noch etwas?“, fragte der Lordkanzler.
Wie benommen wandte Ian sich an den Sitz des Kanzlers. „Äh, nein Sir. Ich räume den Platz.“
„Wie Sie wünschen. Als nächstes hören wir Lord Forrester. Sir, beginnen Sie.“
Als der nächste Redner sich erhob, schob Ian die Rockschöße beiseite und setzte sich, wobei er Georgie ein Lächeln
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