Eine tollkuehne Lady
dass das Medaillon mit dem Bild von Matthew fort war.
Wo zum Teufel war es hin? Er durchsuchte alles, warf die Bettdecken zur Seite, zog die Kommode von der Wand, fragte sich, ob das Bild wohl dahinter gefallen sein konnte, er blickte sogar unter den Leichnam des armen Ravi, doch es war nirgendwo zu finden.
Verdammt, hatte er es denn in Kalkutta gelassen?
Er hatte keine Zeit, die Suche fortzusetzen. Hör auf. Bald wirst du den Jungen leibhaftig Wiedersehen.
Doch als er seinen Portmanteaux in den Gang trug und ein paar Kulis rief, damit sie sein Gepäck zu den wartenden Soldaten brachten, verursachte der Verlust des Bildes ihm Unbehagen wie ein schlechtes Omen.
Je schneller er hier verschwand, desto besser.
Der Duft nach Meerwasser kündigte Ian an, dass er Bombay bald erreichen würde. Er ritt an den Marschlanden vorüber und gelangte mit den wenigen ihm verblieben englischen Soldaten in die Stadt, wo er sich den Weg zu Jack Knights Schiffswerft erfragte.
„Gütiger Himmel“, murmelte er, als er sein erschöpftes Pferd anhielt und feststellte, dass auf der Werft ein Kampf stattgefunden hatte. Auf dem hölzernen Zaun waren Brandspuren zu sehen, und noch immer lagen der Geruch von Rauch und Schwarzpulver in der Luft. Hier und da waren grauenerregende Blutlachen auf dem Boden verteilt.
Wie es schien, war sein unglücklicher Diener nicht das einzige Opfer.
Rasch erkundigte sich Ian bei einem der Schotten, der überlebt hatte, wohin die Knights gegangen waren. Der Mann deutete auf ein hübsches Backsteinhaus weiter die Straße hinunter. Ian wendete sein Pferd und ritt dorthin. Das musste die Residenz der Familie Knight in Bombay sein. Das Haus in Kalkutta war herrlich verspielt, dies hier wirkte ganz nüchtern und geschäftsmäßig.
Auf der Straße vor dem Haus war Stroh gestreut worden, um die Geräusche der vorüberfahrenden Kutschen zu dämpfen. Das war kein gutes Zeichen, denn gewöhnlich tat man so etwas nur, wenn jemand im Haus krank war. Als Ian absaß und sein Pferd im Schatten am Zaun festband, wuchs seine Sorge.
Er trat durch das Tor, legte den kurzen Weg zum Haus zurück und klopfte an die Tür. Als eine kleine Weile verstrichen war und noch immer niemand antwortete, öffnete er die Tür und schob den Kopf hinein. „Hallo? Ist jemand zu Hause? “
Barfuß kam eine indische Dienerin auf ihn zu. Sie wirkte beunruhigt. „Sahib? “
„Keine Sorge, ich bin Lord Griffith. “ Er trat ein. „Ich suche die beiden Majors und Miss Knight. “
„Oh, Sahib! Dem Himmel sei Dank, dass Sie da sind! Sie werden erwartet! “ Sie deutete auf die glänzende Teakholztreppe und schien erleichtert, dass jemand gekommen war, der die Verantwortung übernehmen konnte.
„Was ist mit der Lady? “
„Sie ist von uns gegangen“, sagte die Frau, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Von uns gegangen? “ Ian erbleichte. Er wartete nicht auf ihre Erklärung, sondern eilte mit großen Schritten die Treppe hinauf, während sich eine böse Vorahnung seiner bemächtigte.
„Wir sind hier! “, hörte er eine matte Stimme.
Ian folgte der Stimme bis zu einem ordentlichen, einfachen Schlafzimmer. „Derek? “
Mit einem finsteren Blick, dem seine übliche joviale Unerschütterlichkeit gänzlich abging, sah Derek von dem Brief auf, den er gerade geschrieben hatte.
Er saß neben dem Bett, in dem Gabriel lag, dessen Brust bandagiert war, das Gesicht aschfahl.
Bei seinem Anblick holte Ian tief Luft.
Gabriel war nicht ganz bei Bewusstsein, und seine verschleierten blauen Augen waren schmerzerfüllt. Als Ian eintrat, bewegte er sich nicht.
„Hat Johar den Vertrag unterzeichnet? “, fragte Derek tonlos.
Ian nickte.
„Na dann. Wenigstens das. “
„Wie schlecht steht es um ihn? “, flüsterte Ian und beugte sich vor, damit Derek ihn verstehen konnte.
„Es ging ihm schon besser“, erklärte Derek in normaler Lautstärke und blickte zu seinem Bruder. „Er hat gekämpft wie ein Löwe. So habe ich ihn noch nie erlebt. “ Er verstummte. „Ein Pfeil traf ihn, Lord Griffith. Eigentlich hätte es mich erwischen sollen, aber er hat mich beiseite gestoßen, und da traf es ihn. “
„Oh Gott. “
„Er hat mir das Leben gerettet. Mir und Georgie. “
Ian sah ihn an und brachte beinahe nicht den Mut auf, ihn zu fragen, ob Georgie noch am Leben war. Irgendwie gelang es ihm dann doch, die Worte auszusprechen. „Wo ist sie? “
„Wir wurden angegriffen. Wir haben sie vorausgeschickt. So war es sicherer für sie.
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