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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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hereinmöchte.«
    Es herrschte Schweigen. Alle wussten, dass es sinnlos war, mit Pepe Carmona über solche Fragen zu diskutieren.
    »Als ich pensioniert wurde, vor 31 Jahren«, sagte plötzlich Anker Jepssen, »war die Geburtenrate in Europa stark gesunken. Es wurde weniger als ein halbes Kind pro Paar geboren, was allein von der Formulierung her nicht einer gewissen Komik entbehrt. Die Folge war, dass man Arbeitskräfte benötigte und die Immigrationskontingente erhöhen musste.«
    Jepssen, mit nur 96 Jahren der jüngste Bewohner der Kolonie, war erst kürzlich nach Costa Dorada gekommen, nachdem das skandinavische Pensionärs-Zentrum, in dem er bis zu diesem Zeitpunkt gelebt hatte, wegen der geringen Anzahl von Bewohnern hatte schließen müssen.
    »Dagegen sagt ja keiner etwas«, entgegnete Carmona. »Ich finde es völlig richtig, dass sie kommen, um hier zu arbeiten, wenn sie gebraucht werden. Das Unzumutbare ist, dass sie bleiben. Mitte des 20. Jahrhunderts mussten zahlreiche Spanier nach Deutschland emigrieren, weil es hier nicht genügend Arbeit gab. Aber anschließend kehrten sie wieder in ihr Land zurück. So gehört sich das. Diejenigen, die bleiben, sind nichts anderes als eine Invasion, die wir bekämpfen müssen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, als erinnere er sich plötzlich wieder an den Ausgangspunkt der Diskussion: »Ein schwarzer Arzt, das fehlte noch! Gleich morgen werde ich mich beim Präsidium des Zentrums beschweren.«
    Costa Dorada, die Wohnkolonie für Pensionäre, lag am Mittelmeer, südlich von Málaga zwischen Marbella und Esteppona. Von hohen, mit Kletterpflanzen bewachsenen Mauern und einem riesigen, sorgfältig gepflegten Garten umgeben, teilte das Zentrum sich in vier unterschiedliche Bereiche: Neben dem Eingang, hinter der Rezeption, befanden sich die Büros und das Kontrollzentrum, rechts davon lag der medizinische Pavillon, und am anderen Ende des Gartens erstreckte sich der Wohnbereich mit seinen hübschen, kleinen Bungalows. Ein Stückchen weiter erhob sich der Komplex für die Gemeinschaftsaktivitäten: der Nemo-Saal, der Spiele-Pavillon, der Speiseraum, die Cafeteria, das Sportzentrum, das 3D-Kino und die Bibliothek. Die Kolonie war ein autarkes, kleines Universum, das alle Bedürfnisse seiner Bewohner befriedigen konnte.
    Dennoch besuchten nur sehr wenige der unbegreiflich alten Greise das Sportzentrum, schauten 3D-Filme oder gingen zum Lesen in die Bibliothek. Die bei weitem am häufigsten frequentierte Einrichtung der Kolonie war der mnemonische Stimulationssaal. Hierbei handelte es sich um ein sehr großes Gebäude, in dessen Inneren fünfzig Diwane in einer Reihe standen. Zu jedem Diwan gehörte ein elektronisches Gerät, das über ein dickes Kabel mit einem kleinen, verstellbaren Helm verbunden war. Die Wände waren in beruhigenden Blautönen gehalten.
    Die mnemonischen Stimulatoren – Nemos – waren kleine Apparate, deren Funktion, wie ihr Name schon verriet, darin bestand, die Erinnerung zu stimulieren. Mithilfe eines Nemos wurden die eigenen Erinnerungen so präzise und deutlich, dass die Erfahrung nicht mehr nur auf das Gedächtnis beschränkt war – sie verwandelte sich in eine Art Zeitreise. Nemos ermöglichten es, die Vergangenheit von neuem zu erleben.
    Nachdem die Gruppe die Sommerterrasse verlassen hatte, machte Hans sich auf den Weg zum Nemo-Saal. Der größte Teil der Diwane war besetzt: Neununddreißig alte Menschen lagen reglos und mit geschlossenen Augen auf ihnen, auf dem Kopf trugen sie kleine Helme voller Elektroden. Alle waren völlig von der Vergangenheit absorbiert. Hans legte sich auf einen freien Diwan, setzte sich den Nemo-Helm auf und streckte die Hand aus, um den Apparat anzuschließen. Doch im letzten Augenblick, bevor er den Knopf drückte, blieb seine Hand reglos in der Luft hängen. Aus irgendeinem Grund musste er ständig an den neuen Arzt denken, der Carmona so aufgebracht hatte. Die anderen hatten erzählt, dass er Daniel Mombé hieß. Ein schwarzer Gerontologe in Spanien, wie merkwürdig … Hans verspürte echte Neugier. Nun gut, er würde ihn schon noch kennen lernen.
    Er stöpselte den Nemo ein, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Erinnerung, die er sich ausgesucht hatte: den Tag seiner Hochzeit – den Tag, an dem Emma und er beschlossen hatten, sich für immer zu vereinen, auch wenn dieses Immer letztlich nur viereinhalb Jahre gedauert hatte. Vor seinem inneren Auge beschwor Hans das Bild des Münchner

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