Eine Trillion Euro
und demselben Zimmer wie damals vor dem Tribunal. Leider konnte ich dir das nicht sagen … Du hast dich bei mir bedankt, als du das Bild betrachtetest, das ich von dir gemalt hatte, und ich schämte mich … Du hast dich bedankt, und ich hatte Tränen in den Augen, als ich die Zelle verließ. Ich ließ ein fragwürdiges Porträt zurück, und ich ließ dich allein, ehe man dich zur Hinrichtung abholte, von der ich nicht reden möchte: Dafür gibt es einen hässlichen Farbdruck, jene mittelmäßige Gravur, die ich eingangs dieser unsteten Zeilen, dieser nun zu Ende gehenden posthumen Beichte erwähnt habe.
Der Vollständigkeit halber muss ich noch von einer delikaten Anhörung berichten, die nach deinem Tod stattfand. Deine Leiche wurde in das Charité-Krankenhaus transportiert und dort im Beisein zweier Abgeordneter des Nationalkonvents untersucht. Einer der beiden war ich, denn meine Berufung als Maler hat mich nicht der res publica entfremdet … Und so sah ich dich unter den gläsernen Lichtschächten völlig nackt, dich, der ich den Hof machte, als du noch kokett und prüde warst. Dich, der ich mich immer nur im Körper eines anderen näherte … ich neigte dir mein wahres Gesicht entgegen, während die Wissenschaftler sich deiner Jungfräulichkeit versicherten. Es ging darum, dass du, Charlotte, niemals einen Liebhaber hattest, und damit auch keinen Komplizen. Dass du, als du die Tat begingst, nicht aus Liebe zu einem Doulcet oder Barabaroux gehandelt hast … Ich verließ den Raum noch während der Sitzung.
Ich entfernte mich. Ich wusste, dass du Jungfrau warst. Ich wusste auch alles über deine Rolle als Komplizin, die ich dich hatte spielen lassen und von der du nichts ahntest. Süße Charlotte, du Instrument zu dem verrückten Plan, den ich durchführen werde. Zu Hause schließe ich mich in mein Arbeitszimmer ein und entwerfe die Grundzüge zu meinem besten Gemälde: Der Tod des Marat. Es war nötig, dass du zum Friedensengel wurdest, dass du überzeugt warst, Marat getötet zu haben, damit ich frei blieb, mit meinen Erinnerungen zu leben. Frei, jene Szene neu zu erschaffen, die ich selbst dirigiert hatte, ohne dass jemand davon wusste. Ich habe Marat vor dem Anschlag beobachtet, ich habe ihn erdolcht, und ich sah ihm beim Sterben zu. Dabei bewahrte ich mir genau die ersehnte Lebensechtheit, die die Kraft der Realität einem Kunstwerk verleiht.
Natürlich war ich nur Schauspieler und Demiurg in einem winzigen historischen Schlenker, der den Verlauf der Geschichte Frankreichs und Europas nicht im Geringsten veränderte. Um ehrlich zu sein, hat es selbst Charlotte nicht geschafft, das Aufbäumen der Gewalt in einem Land einzudämmen, das man heute eine der Wiegen der Demokratie nennt: Nach Marats Tod regierte der Terror in Frankreich. Was nun mich angeht, so habe ich mir das Privileg gegönnt, der Malerei eine neue, revolutionäre Richtung zu geben. Jedes seriöse Nachschlagewerk verkündet, dass ich mit Der Tod des Marat eine neue Ära des Historienbildes ins Leben gerufen habe. Sicher, einige antike Anklänge sind nicht zu leugnen, aber es ist nun einmal so: Der Dolch des Brutus schwebt über dem Zeitalter. Ich betrachte mein Werk, ich beobachte meine trockenen Finger, die ohne zu zittern einen feinen, langen Pinsel halten, mit dem ich meinen Namen unter das Werk setze: Jacques-Louis David. Die Finger eines Mörders zittern nicht, wenn sie für eine so edle und unabhängige Sache wie die Liebe zur Kunst zugeschlagen haben.
César Mallorquí
Nach diesem Ausflug in die Vergangenheit geht es nun in eine Zeit, die man landläufig eher mit dem Genre Science-Fiction verbindet: die Zukunft. Und es ist eine verblüffend einleuchtende Zukunft, die César Mallorquí in seiner Erzählung anbrechen sieht.
César Mallorquís schriftstellerische Ader ist, darf man mit einiger Berechtigung vermuten, familiär bedingt. Er ist der Sohn des zu seiner Zeit berühmten Unterhaltungsschriftstellers José Mallorquí, dessen bekannteste Schöpfung die Serie El Coyote war, die in den 40er-Jahren auch in Deutschland Erfolge feierte. »Fragt die alten Leute«, meint César Mallorquí augenzwinkernd. Geboren ist er »kurz nach dem Pleistozän«, wie er sagt – in Zahlen: 1953 – in Barcelona, doch ein Jahr später übersiedelte die Familie nach Madrid, wo er bis heute lebt. Er studierte Journalismus und arbeitete einige Jahre als freier Journalist, ging dann aber in die Werbung, schrieb Werbetexte und drehte
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