Eine Trillion Euro
Möglichkeit, Ihre Lebenserwartung zu verdoppeln. Ihnen bleiben noch vierzig oder fünfzig Jahre. Wollen Sie sie verschwenden, indem Sie sich in Costa Dorada einschließen?«
»Naja …«, zögerte Hans, »ich nehme an, das wäre nicht logisch …«
»Nein, das wäre es nicht. Und deshalb verschreibe ich Ihnen eine neue Behandlung, Herr Müller: eine Reise nach München. Heute ist Dienstag – Sie können am Freitag abreisen und Sonntag zurück sein.«
»Aber …«
»Nein, nein, nein. Kein Aber. Ich selbst werde mich um die Reservierung des Tickets und um ein gutes Hotel kümmern. Betrachten Sie es als eine Art Therapie: Sie brauchen Bewegung, und die Reise ist ein guter Anlass, das umzusetzen.« Mombé hielt inne und fragte: »Werden Sie auf Ihren Arzt hören, Herr Müller? Werden Sie dieses Wochenende nach München fahren?«
Außer seiner Bequemlichkeit mangelte es Hans an Argumenten, um sich zu weigern. Die Kolonie seit achtunddreißig Jahren nicht verlassen zu haben war ohne Zweifel zu lange. Daher tat der alte Mann das Einzige, was er tun konnte: Er seufzt, und erklärte sich mit einem unsicheren Kopfnicken einverstanden.
Obwohl die Aussicht auf die Reise ihn anfangs eher beunruhigt hatte, begann Hans sich nach und nach immer mehr zu freuen. Es war so lange her, seit er zum letzten Mal die Straßen Münchens entlanggelaufen war. Plötzlich sehnte er sich danach, wieder durch Schwabing zu spazieren, das alte Viertel seiner Kindheit. Noch einmal ins Bratwurstglöckerl gehen, die kleine Kneipe in der Nähe des Doms, wo er sich immer mit seinen Studienfreunden Jörg und Peter getroffen hatte. Ob es dort wohl immer noch diese köstlichen Nürnberger Bratwürste gab? Und das Olympiastadion der Bayern. Seit unzähligen Jahren hatte er sich dort kein Fußballspiel mehr angesehen. Wie die Bayern wohl in der Bundesliga dastanden?
Hans erzählte niemandem von seiner Absicht, nach Deutschland zurückzukehren. Anfangs, weil er sich noch nicht sicher war, ob er die Reise wirklich antreten würde, und dann, weil er irgendwie das Gefühl hatte, diese Rückkehr in seine Heimat sei etwas zu Intimes, um sie mit den anderen teilen zu können. Er wollte sich erst im letzten Augenblick von seinen Freunden verabschieden, kurz bevor er losfuhr. Schließlich würde er ja nur ein Wochenende fort sein …
Am Donnerstag erhielt Hans einen Umschlag von Doktor Mombé, in dem er eine Hotelreservierung und die Turborail-Tickets fand. Er musste am Freitag um ein Uhr mittags am Bahnhof von Málaga sein. Abends, nachdem er mit Willi und Gertrud gegessen hatte, packte Hans sorgfältig seinen Koffer: zwei komplette Garderoben, zwei Paar Schuhe, Toilettenartikel und ein Foto von Emma. Er ging früh zu Bett, lag aber noch lange wach. Er konnte nicht aufhören, an seine Frau zu denken. Wie schön es gewesen wäre, mit ihr gemeinsam nach München zurückzukehren – zwei alte Menschen, die sich gemeinsam an die Tage ihrer Jugend erinnern. Doch unglücklicherweise hatte kaum viereinhalb Jahre, nachdem Emma und er begonnen hatten, zusammen zu leben, ein betrunkener Fahrer sie für immer mit sich genommen. Ebenso wie eine rasch wuchernde Krebserkrankung seinen Vater aus dem Leben gerissen hatte, als Hans noch ein Kind war. Gott oder der Zufall oder wer auch immer die Schicksale der Menschen lenkte, hatte beschlossen, das Leben der Menschen, die er am meisten liebte, frühzeitig zu beenden – und um ihn dafür zu entschädigen, verlängerte er das seinige bis weit jenseits dessen, was die Natur verfügt hatte.
Dennoch konnte Hans Müller sich des immer häufiger wiederkehrenden Gedankens nicht erwehren, dass die Bartov-Behandlung nicht das Leben verlängerte, sondern die Abwesenheiten.
Am Freitag wachte Hans sehr früh auf. Er war nervös, daher beschloss er, in seinem Bungalow zu frühstücken, statt im Speisesaal der Kolonie. Anschließend, nachdem er sich sorgfältig zurechtgemacht und seinen besten Anzug angezogen hatte, blätterte er eine Weile in alten Fotoalben herum – Bilder aus seiner Jugend in Deutschland, so alt, dass sie nur zweidimensional waren. Später rief er über das Haustelefon die Rezeption der Kolonie an und bestellte ein Taxi, das ihn um zwölf Uhr mittags abholen sollte. Gegen elf verließ er schließlich seinen Bungalow und machte sich auf die Suche nach seinen Freunden, um sich von ihnen zu verabschieden. Als Erstes ging er auf die Sommerterrasse. Dort traf er jedoch nur Pepe Carmona, der auf einem Liegestuhl
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