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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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Deutsche in seinen Bungalow zurück. Er setzte sich neben seinen Koffer auf einen Stuhl und blieb lange reglos sitzen. Sein Geist war völlig leer, er dachte an nichts, er saß einfach nur da – saß da und fühlte, wie ein leises Gefühl der Beklemmung in seiner Brust aufzukeimen begann. Nach zwanzig Minuten schreckte ihn das Klingeln des Telefons auf.
    »Ihr Taxi ist hier, Herr Müller«, sagte die freundliche Stimme der Rezeptionistin.
    Hans sah auf die Uhr: Es war schon zwölf … Plötzlich spülte eine ganze Flut von Fragen durch seinen Kopf. Warum nach München zurückkehren? Warum, nach so langer Zeit? Was hoffte er dort zu finden? Emma war tot, ebenso wie Jörg und Peter zweifellos tot waren und auch alle seine Freunde und seine Bekannten und seine Arbeitskollegen und die Nachbarn. Alle tot. Wahrscheinlich gab es nicht einmal mehr das Bratwurstglöckerl, und selbst wenn es noch existierte, würden die Bratwürste nicht so schmecken wie früher. Und vielleicht war Bayern in die zweite Liga abgestiegen. Und wer weiß, wie Schwabing jetzt aussah, vielleicht existierte es nicht einmal mehr, vielleicht hatten sie es niedergerissen, um an seiner Stelle Einkaufszentren, Büros und bienenstockartige Apartmenthäuser zu bauen. Aber das war nicht das eigentliche Problem. Selbst, wenn alles noch dasselbe wäre, wenn das heutige München mit dem München seiner Erinnerungen identisch wäre – was sich verändert hatte, war er selbst.
    »Das Taxi erwartet Sie, Herr Müller«, sagte die Rezeptionistin über das Haustelefon.
    Hans stieß einen langen Seufzer aus.
    »Ich brauche es nicht mehr«, sagte er und fügte hinzu: »Doktor Mombé hat auf meinen Namen ein Turborail-Ticket und ein Hotel in München reserviert. Bitte annullieren Sie das.«
    »In Ordnung, Herr Müller. Wie Sie wünschen.«
    Hans blieb noch einige Minuten mit verlorenem Blick sitzen. Dann stand er auf, packte den Koffer aus, verließ seinen Bungalow und lenkte seine Schritte langsam in Richtung Nemo-Saal.
    Eine Batterie von Holo-Bildschirmen schwebte durch das Kontrollzentrum der Kolonie. Einer zeigte Hans Müller, wie er durch einen weißen Gang lief, auf einem anderen betrat er den mnemonischen Stimulationssaal. Ein Stück weiter rechts sah man eine Großaufnahme des alten Mannes, als er den Nemo-Helm aufsetzte.
    Fátima Alaoui, die medizinische Leiterin von Costa Dorada, wandte den Blick von den Holo-Bildschirmen ab und drehte sich zu Doktor Mombé um.
    »Wie du siehst, Daniel, hatte ich Recht«, sagte sie. »Herr Müller hat sich nicht getraut, die Kolonie zu verlassen.«
    Mombé betrachtete das Bild von Hans, wie er auf dem Diwan lag.
    »Vielleicht ein anderes Mal«, antwortete er mit wenig Überzeugung.
    »Nein, nein, er wird es nie tun. Er wird sich weiter hier einschließen, bis zum Tag seines Todes, wie alle anderen auch.« Alaoui deutete auf den Holo-Bildschirm. Eine Totale des Nemo-Saals zeigte die alten Leute, wie sie mit geschlossenen Augen reglos auf den Diwanen lagen, als würden sie schlafen. »Sieh sie dir an«, sagte sie. »Weißt du, an was mich dieser Anblick erinnerte, als ich ihn zum ersten Mal sah? An eine Opiumhöhle. Sie sind Junkies, Daniel, und die Nemos sind die Spritzen, mit denen sie sich ihre Dosis Vergangenheit injizieren.« Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, wozu wir uns eigentlich so viel Mühe geben, sie am Leben zu halten.«
    Mombé wandte den Blick von Hans Müllers reglosem Gesicht ab und rieb sich die Augen.
    »Vielleicht, weil wir es ihnen schulden«, erwiderte er. »Schließlich sind sie die letzten Repräsentanten des alten Europa – der Zivilisation, die uns aufgenommen hat.«
    Alaoui stieß ein lautes Lachen aus.
    »Wie bezaubernd naiv du bist, Daniel. Ich kenne die Geschichte deiner Familie, und du kennst die Geschichte meiner. Muss ich dich daran erinnern, was meine Großeltern durchmachen mussten, als sie Marokko verließen und das großartige Europa erreichten? Wollen wir noch einmal über die Zwölf-Stunden-Arbeitstage in den Gewächshäusern von Almería sprechen, wo sie bei mehr als vierzig Grad für Herrn Müller und all die anderen Herren Müller in deinem wundervollen Europa Erdbeeren pflückten?«
    »Nein, es ist nicht nötig, dass du mich daran erinnerst. Ich weiß sehr gut, dass es kein Zuckerschlecken war, aber du kannst nicht leugnen, dass sie uns eine Chance gegeben haben. Und dafür schulden wir ihnen etwas.«
    »Wir schulden ihnen gar nichts, Daniel, sie waren nicht

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