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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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nett zu uns. Sie luden uns nicht vertrauensvoll in ihre Häuser ein, sie ließen uns nur hinein, weil sie jemanden brauchten, der ihre Scheiße wegputzte. Und jetzt sieh uns an: Nach wie vor wischen wir ein paar alten Leuten, die schon viel zu lange leben, den Hintern ab.« Doktor Alaoui sah Mombé mit halb geschlossenen Augen an. »Sag mir eins, Daniel. Weißt du, wer die Bartov-Behandlung der Koloniebewohner bezahlt?«
    »Die Versicherungsgesellschaften.«
    Doktor Alaoui schüttelte den Kopf.
    »Ich werde dir etwas erzählen«, sagte sie. »Vor vierzehn Jahren befreite eine parlamentarische Resolution, die so genannte Devi-Novelle, die Versicherungen von ihrer Verpflichtung, die Bartov-Behandlung weiterhin zu finanzieren. Herr Müller und seine Freunde waren dazu verurteilt, im Alter zu sterben, wie der Rest der Menschheit auch. Doch dann trat eine neue Körperschaft auf und bot an, nicht nur die Kosten für die Behandlungen zu übernehmen, sondern darüber hinaus auch noch die Technik für die mnemonische Stimulation zur Verfügung zu stellen. Weißt du, wer das war? Die Europäische Geschichtsakademie. Und weißt du warum? Weil die Nemos es nicht nur ermöglichen, sich an die Vergangenheit zu erinnern, als erlebe man sie zum ersten Mal, man kann diese Erinnerungen auch mitschneiden. Die Akademie will ein Archiv mit persönlichen Erinnerungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert anlegen. Das ist der Grund, warum man diese Dinosaurier am Leben erhält.«
    »Sie nehmen ihre Erinnerungen auf?« Mombé starrte seine Kollegin mit ungläubiger Bestürzung an. »Das ist doch eine Verletzung ihrer Privatsphäre!«
    Doktor Alaoui lächelte schief.
    »Sie wissen Bescheid«, sagte sie. »Genauer gesagt haben sie sogar einen Vertrag unterzeichnet, in dem sie sich mit der Aufnahme ihrer Erinnerungen einverstanden erklärten. Sie hätten ihre Seele dem Teufel verkauft, um die Nemos weiterhin benutzen zu dürfen. Sie sind Junkies, süchtig nach der Vergangenheit, und sie brauchen ihre tägliche Dosis.«
    »Die Bewohner sind einverstanden, dass man ihr Leben mitschneidet?« Mombé wandte den Blick ab und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Das wusste ich nicht …«
    »Es gibt vieles, was du über die Kolonie noch nicht weißt, Daniel. Zum Beispiel, dass die Akademie plant, die Finanzierung der Bartov-Behandlung einzustellen. Weißt du warum? Nun, weil die Bewohner sich immer an die gleichen Dinge erinnern, die gleichen Momente, die gleichen langweiligen Dummheiten. Sie leben nicht nur in der Vergangenheit, sie leben in einer winzig kleinen Vergangenheit. Welchen Sinn hat es, Herrn Müllers Hochzeit oder den ersten Sex von Magda Stadler zum zigsten Mal aufzunehmen? Wen soll das interessieren?«
    Mombé schwieg. Sein Blick war leer, und ein Hauch von Traurigkeit lag auf seinem Gesicht. Doktor Alaoui seufzte.
    »Die Bewohner von Costa Dorada mögen ja so gut wie unsterblich sein, Daniel – aber sie sind schon seit langer Zeit tot.«
    Nachdem er das Kontrollzentrum der Kolonie verlassen hatte, ging Daniel Mombé zum Parkplatz und stieg in seinen Audi-Gleitwagen. Er hatte das Wochenende frei und wollte es mit seinen Eltern und Geschwistern verbringen. Mombé ließ den Motor an, und das Fahrzeug erhob sich mit sanftem Summen auf seine magnetischen Rollenlager. Er lenkte es auf die Schnellstraße, wo er, statt Richtung Málaga zu seiner kleinen Junggesellenwohnung zu fahren, Kurs auf Sevilla nahm.
    Nach einigen Minuten schaltete der Arzt den Autopiloten ein, setzte die Geschwindigkeit auf 250 Stundenkilometer und ließ die Steuerung los. Der Bordcomputer übernahm augenblicklich die Kontrolle, und der Wagen begann elegant zwischen dem dichten Verkehr auf der Schnellstraße dahinzugleiten. Mombé lehnte sich im Sitz zurück und schloss die Augen; er hatte Nachtwache gehabt und war sehr müde. Außerdem fühlte er sich, aus Gründen, die ihm nicht ganz klar waren, vage deprimiert – er konnte nicht aufhören, an Herrn Müller zu denken und an das, was ihm die medizinische Leiterin der Kolonie erzählt hatte.
    Vielleicht hatte Doktor Alaoui ja Recht, überlegte er, vielleicht war er wirklich naiv. Vielleicht hatte es tatsächlich keinen Sinn, so viel Arbeit darauf zu verwenden, Menschen am Leben zu halten, die hartnäckig darauf bestanden, sich zu fossilieren, sich unter eine dicke Decke aus Sehnsucht, Erinnerungen und Melancholie zurückzuziehen. Aber dennoch, beschloss er, während ihn nach und nach eine sanfte, schläfrige Mattigkeit

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