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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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als das weiße Haus endlich vor ihren Augen in dem Garten Gestalt annimmt, heult Henry wie ein Indianer, saust auf das Haus zu und verschwindet zu jedermanns großem Schrecken für einen Moment aus den Augen.
    Diesen Moment genau zu beschreiben ist schwierig. Er ist gleichzeitig sehr kurz und außergewöhnlich lang, und nachher entzieht er sich vernünftiger Überlegung schneller, als eine Mücke den zuschnappenden Händen entgeht. Im einen Moment ist Henry verschwunden, und dann sehen sie ihn wieder auf die Hecke zurennen, das Gesicht schweißbedeckt und weißer als das tote Wiesel; er wirft sich keuchend über den Zaun und verkündet düster, er habe an die Tür des Spukhauses geklopft. Ihr habt’s gesehen, das habt ihr doch? Vor lauter Entsetzen und Aufregung vergessen sie, Henry für seine gelungene Mutprobe zu gratulieren. Sie stehen einfach lange Zeit da und sehen stumm auf das Haus zwischen den Apfelbäumen oder vielmehr dahin, wo das Haus gewesen ist, denn es ist wieder dahin verschwunden, wo es herkommt.
    Es kommt vor, dass man sich plötzlich Dinge sagen hört, über die man selbst am meisten erschrickt; zu solchen Dingen gehört Henriettas Ankündigung, in das Spukhaus hineinzugehen.
    Das kommt etwa so: Die anderen reden dies und das über das Spukhaus, sie schwatzen müßiges Zeug und lassen nebenbei einen Ball über den staubigen Hof der Fabrik springen, und plötzlich hört Henrietta sich ankündigen, dass sie ihrerseits die Mutprobe machen und in das Spukhaus gehen will, sofern das möglich ist.
    Als sie begreift, was ihr da soeben über die Lippen gekommen ist, pinkelt sie sich fast in die Hose, aber es ist natürlich zu spät, um es wieder zurückzunehmen, außer sie möchte für immer das Gesicht und die Selbstachtung verlieren. Aber jetzt, wo sie sich auf den Zaun vor der Raketenfabrikstraße 1 lehnt, während ihr die Sonne das Genick versengt, und sie den bislang leeren Garten betrachtet, wo dichtes Gebüsch und dunkle Baumkronen zitternde Schatten im Geäst fangen, da fühlt sie gar nichts. Sie hat sich manchmal gefragt, was der erste Raumpilot kurz vor dem Abheben gefühlt haben mag, und jetzt glaubt sie es zu wissen.
    »Biste ganz sicher?«, fragt Albin.
    »Klar«, lügt Henrietta.
    Max kratzt sich seinen großen geschorenen Kopf, der irgendwie einer Kartoffel ähnelt. Große Schweißtropfen rinnen ihm über die gewölbte Stirn und wollen in die töricht starrenden Augen, aber er erwischt sie mit seinen dicken Wurstfingern.
    »Mann, was für ein Sommer«, seufzt er. »Was für ein Tag ist heute? Sonntag? Oder Dienstag? Welcher Monat? Mann. Dieser Sommer geht nie zu Ende. Der geht schon zehn Jahre so. Ich will mich ja nicht beschweren, aber ich sterbe womöglich am Hitzschlag, ehe es Herbst wird. Mann. Habt ihr je so einen komischen Sommer erlebt? Ich kann mich schon kaum noch erinnern, wie es im Herbst oder Winter ist. Erinnert ihr euch noch an das weiße Zeug, was im Winter vom Himmel fällt? Oder hab ich das geträumt? He, hab ich das alles geträumt?«
    »Ich glaub nicht an Herbst«, sagt Henry und macht auf besinnlich. »Wir haben nie wieder Schule. Die Schule fängt immer im Herbst an, aber der kommt nicht mehr, und darum fängt auch keine Schule je wieder an.«
    »Wir können morgen wiederkommen«, versucht Albin es wieder, »wir brauchen uns nicht zu beeilen.«
    »Ich mache es heute«, sagt Henrietta. Insgeheim wünscht sie sich, dass Albin sie in die Arme nimmt und wegträgt, damit sie nicht näher an das schreckliche Spukhaus heran muss. Und sie weiß, er tut es wahrscheinlich, wenn sie nur darum bittet. Aber sie weiß auch, dass sie von ihrer Ankündigung nicht mehr zurückkann, sondern die große Verpflichtung erfüllen muss. Jedenfalls, wenn sie zur Bande gehören will. Wenn sie jetzt aufgibt, wird Henry das nie in Vergessenheit geraten lassen. Und vielleicht wird auch Albin sie ein bisschen weniger leiden können.
    »Das muss der längste Sommer überhaupt sein«, sagt Max schon wieder. »Und der heißeste. Hat’s überhaupt schon mal geregnet? Ich kann mich nicht erinnern. Mann, in mir scheint alles zu kochen. He, Henry, drückst du nicht kochende Scheiße aus dem Arsch?«
    »Halt deine fette Klappe«, schnauzt Henry, der sich über sein Geschnatter ärgert, und rammt ihm die Faust auf den dicken Unterarm. Das gibt einen weichen Bums. Max reibt sich jammernd den zitternden Arm und ist endlich still.
    »Ich werde jetzt gehen«, sagt Henrietta feierlich.
    Albin macht eine

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