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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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dergleichen gesagt, oder?
    Beim Anblick des Kindes denkt man sofort an die rührselige Kopie des ›kleinen Kranken‹ von einem hungerleidenden Maler, dachte Frau Jansson, während ihre Stricknadeln traurig klickten.
    Sie saß ganz hinten im Eckzimmer im Schaukelstuhl, dem sie vergeblich den richtigen Rhythmus abzuringen versuchte, und beobachtete das Mädchen mit bebenden Nasenlöchern. War das Mädchen wirklich noch lebendig, in der grundlegenden Bedeutung des Wortes? »Geben Sie ihr Zeit«, hatten die Ärzte gesagt, »es braucht seine Zeit, um sich von so einem Schock zu erholen.« Dem Mädchen wurde Zeit gegeben, die Zeit von Frau Jansson. Aber gerade die Zeit war es, die das Mädchen aufgegeben hatte, sie war herausgesprungen wie ein Ausreißer aus dem fahrenden Zug.
    Natürlich wird ein Kind zutiefst erschüttert sein, das beide Eltern auf so schreckliche Weise verliert. Etwas anderes wäre gar nicht normal. Es war so überaus verständlich, dass ein kleines unglückliches Mädchen sich weigert, die trauerschwere Realität anzuerkennen, und sich eine gewisse Zeit daraus zurückzieht. Aber gütiger Himmel, es dauerte jetzt schon acht lange Jahre! Das Mädchen sollte längst zur Schule gehen, durch die Welt laufen, sich verlieben, enttäuscht werden und lernen, sein Leben in die Hand zu nehmen.
    Aber nein, dort stand sie noch, die Schultern gebeugt, vor dem einen Fenster. Geradezu als ob es dort etwas höchst Interessantes zu beobachten gäbe, etwas anderes als diesen trostlosen Ausblick – auf die Ruinen entlang der Raketenfabrikstraße, die jetzt wenigstens mit einer hübschen Schneedecke überzogen waren, und auf den enormen Trichter am anderen Ende der Straße, wo früher die große Feuerwerksfabrik stand.
    Die Fabrik hatte sich kurz nach Mitternacht, als jeder schlief, plötzlich entschlossen, sich in alle vier Winde zu zerstreuen.
    Als Ursache wurde eine brennende Zigarette vermutet oder ein Defekt in den elektrischen Leitungen – es war sehr wenig übrig geblieben, um es nach der Explosion zu untersuchen. Nur der Fabrikbesitzer und seine Frau waren im Werk gewesen, die vierjährige Tochter der Familie hatte, Gott sei Dank, weit von der verhängnisvollen Raketenfabrikstraße entfernt zu Hause geschlafen. Unter farbenfrohem Lodern war die Fabrik in die Nichtexistenz geschnellt und hatte die ganze glücklose Straße mitgenommen: der feurige Drachenatem, in derselben Fabrik erzeugt, hatte jedes einzelne Haus an der Straße verbrannt, und niemand hatte aus dem wütenden Feuer lebendig herauskommen können.
    Zwei Monate später ragte ein großes, schönes Haus in der Raketenfabrikstraße 1 auf, das Haus, das der Fabrikbesitzer bestellt und bezahlt hatte, bevor er in die Luft gesprengt wurde.
    Ein Mensch muss seine unbeständigen Gefühle meist unterdrücken und nach kalten, rationalen, ökonomischen Tatsachen handeln, aber vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, mit dem verwaisten Kind in das erste neue Haus an der Straße einzuziehen. Möglicherweise hatte allein die Nähe zu der einstigen Fabrik das Mädchen so blind und stumm werden lassen.
    Die Frau schüttelte den Kopf, unglücklich und ein wenig schuldbewusst. Wenn man es recht bedachte, war dies wirklich kein glücklich gewähltes Milieu. Lauter Ruinen und Ratten. Viele Ratten.
    Irgendetwas Eigentümliches in den Überresten der Fabrik zog sie an. Manchmal sah man sie überall auf der Straße, wie sie hin und her rannten, aber besonders viele in den Ruinen der Fabrik. Als Frau Jansson zu dem Trichter hingegangen war, hatte sie sie zwischen den Steinen und zerschmolzenen Maschinen hin und her flitzen sehen, und manchmal hätte sie schwören können, dass die Ratten etwas taten, das sie für bedeutungsvoll hielten, so geschäftig wirkten sie.
    Frau Jansson hatte keine Angst vor Ratten, die schließlich auch Gottes Geschöpfe waren, wenn auch nicht die hübschesten. Sie hätte nur gern gehabt, dass sie draußen blieben wie bisher, aber nun hatte sie diesen hinkenden Winzling von einer Ratte im Haus überrascht, und das gab ihr ernste Zweifel ein, ob die Raketenfabrikstraße 1 der passende Wohnort für eine Frau, die auf sich hielt, und ihre arme Nichte war. Himmel, die Ratte hätte das Mädchen beißen können, und sie hätte es noch nicht einmal bemerkt!
    Frau Jansson dachte bekümmert über die Fabrik und die Ratten und ihr Leben nach, und das Mädchen, dieser Günstling des Unglücks, starrte immer weiter zum Fenster hinaus, ohne etwas zu sagen

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